"Feuer!" Die Welt um mich herum sieht plötzlich grauenvoll aus. Überall in dem regnerischen Wald kann man nur Explosionen, Schreie und Gewehrschüsse hören. Neben mir rasselt ohrenbetäubend ein Maschinengewehr, und während dieses Lärms versuche ich, auf den einzigen Kopf zu schießen, der etwa zehn Meter entfernt hinter einer Schneeverwehung zu sehen ist. Dieses Chaos dauert noch rund drei Minuten, dann wird es plötzlich still. Sekunden später höre ich, wie mein Truppenführer die gemütliche Ruhe zerstört und schreit: "Abner! Leichenkontrolle!"

Ich stehe auf, lade meine Maschinenpistole und gehe auf den Weg, wo jetzt etwa 30 leblose Menschen liegen. Mit meinem Kampfgefährten muss ich sie alle durchsuchen.

Wir nähern uns dem zehnten Soldaten, der auf dem Bauch liegt und seinen Arm unter dem Körper hat. Aber plötzlich dreht er sich um, wirft eine Granate neben mich und schreit auf Russisch: "Kapitalisten müssen sterben!" Die Granate fliegt wie in Zeitlupe, und mein ganzer Körper erstarrt. Ich verstehe, dass jetzt alles vorbei ist, und fliege nach der Explosion auf den Boden. Ich liege da ein paar Sekunden, bis ich aufstehe und froh bin, dass es nur eine Übung ist.

Solche Übungen mache ich schon seit Jahren mit. Solche Aktivitäten am Wochenende sind für mich schon normal geworden, da einige Freiwillige im Schutzbund auf die Idee gekommen sind, für junge Schüler eine militärische Vorbereitung durchzuführen. Der Schutzbund ist eine estnische Militärorganisation für alle erwachsenen freiwilligen Bürger. Die Organisation gehört nicht zu der estnischen Armee. Die Disziplin ist nicht so streng wie im Heer, und man muss nur an Wochenenden an den Lehrgängen teilnehmen.

Alle Mitglieder haben in ihrem Privatleben eine Arbeit oder gehen zur Schule. Aber bei der Militärübungen werden wir Zivilisten zu Soldaten. Man kann sein ganzes Leben lang ein Mitglied sein, es gibt keine Dienstzeit. Ich bin seit zweieinhalb Jahren dabei. Im Jahr 2000 sind einige Schutzbundmitglieder auf die Idee gekommen, für Menschen, die noch keinen Wehrdienst geleisten haben, eine spezielle Einheit zu gründen. So wurde in Tallinn die Juniorkompanie gegründet.

Heute besteht die Juniorkompanie aus etwa 120 Schülerinnen und Schülern, die eine sehr interessantes Hobby für sich entdeckt haben.

Wir kriegen dieselbe Ausrüstung, Ausbildung und Waffen wie die Soldaten der estnischen Armee.

Meistens finden die Übungen im Wald statt und manchmal dauern sie bis zu 48 Stunden, auch wenn es draußen minus 20 Grad Celsius sind. Wir schlafen unter Zeltbahnen und bereiten selbst unser Essen zu.

Man lernt etwas über Taktik, Medizin, Topographie, ABC-Waffen und alles andere, was man als Soldat eben wissen sollte. Die Anführer sind freundlich und bestrafen uns nicht so streng.

Wenn ein Mitglied der Juniorkompanie zum Wehrdienst muss, hat er einen Vorteil vor den anderen neuen Soldaten. Meistens werden sie Unteroffiziere und verdienen damit mehr Geld. Sie kommen leichter durch den Dienst und können weiter als Studenten oder Arbeiter leben.

Erik Abner, Klasse 11 Deutsches Gymnasium Tallinn