Neulich geriet ich in einen Strom von Erstsemestern. Es begann ganz harmlos. Ich wollte vom Biotopgarten den Parkplatz in Richtung Hörsaalgang überqueren, als mich eifrig diskutierende Studierende flankierten.

Wie gesagt, es war zu diesem Zeitpunkt alles in Ordnung. Ich merkte, dass die Gruppe um mich herum wuchs, aber ich fühlte mich in keiner Weise bedroht oder ähnliches. Erst als ich nach links zur Bibliothek abbiegen wollte, merkte ich, dass etwas nicht stimmte. Mein Ziel kam nicht näher, vielmehr entfernte es sich von mir. Das Problem war banal: Ich war rechts abgebogen. Vielmehr war ich rechts abgebogen worden.

Die Gruppe um mich herum hatte sich derart verdichtet, dass ich kaum sehen konnte, wo wir uns befanden. Jedes selbstbestimmte Fortbewegen war mir von diesem Zeitpunkt an verwehrt: Ich wurde von der Masse getragen. Rufe halfen nichts, denn der Pegel, mit dem meine Reisegruppe konferierte, übertönte alles.

Ich nahm all meine Kraft zusammen und sprang so hoch ich konnte, um meine ungefähre Position zu erfassen. Vielleicht konnte ich per Handy einen Notruf übermitteln. Ich sprang - und landete auf dem Menschenmeer! Dann sah ich sie, die Nikolaikirche. Wir waren von der Uni bis auf die andere Seite der Stadt gepilgert! An einer Hauswand stand in weißer Kreide: "Lass Deine Träume den Tag überdauern." "Das ist 'ne Kunstaktion!" rief einer der Erstsemester. Richtig, die Startwoche! Alle Studienanfänger müssen etwas auf dem Campus praktizieren, das sie für Kunst halten, davon ein Video drehen und dieses vor einem Juror der Berlinale vorführen. Schweißnass wachte ich endlich auf.

Oliver Wasse studiert Wirtschaftswissenschaften an der Uni Lüneburg.

Täglich in der Lüneburger Rundschau: Die Kolumne "Campus inside"