“Karneval der Zeiten“ ist eine Formulierung aus dem Postmoderne-Diskurs, einem Wissenschaftszweig, mit dem man in den Kulturwissenschaften durchaus öfter in Berührung kommen kann.

Der "Karneval der Zeiten" soll für das Geschichtsbewusstsein in der Postmoderne stehen, das insgesamt ein relativ realitätsfernes ist.

Wie realitätsnah hingegen diese Feststellung ist, habe ich bei meinem letzten Besuch in Berlin erlebt; es verschlug mich nämlich zum Checkpoint Charlie. Angesichts des hier zu beobachtenden, karnevalesken Umgangs mit Geschichte wäre ich mit einer roten Clownsnase bestens ausgestattet gewesen. Rund um den Checkpoint findet sich an kleinen Verkaufsständen aber ohnehin ein beachtliches Angebot wesentlich passenderer Verkleidungsutensilien wie Gasmasken, diverse vom Militär kopierte Kopfbedeckungen, Flaggen, Cargo-Hosen etc. Die Vergangenheit wird hier als Modefarbe tragbar.

Wer mehr will, geht vielleicht in den nahe gelegenen Souvenir-Shop, dessen Produktauswahl keine Wünsche offen lässt: von Postern, die den "Bruderkuss" zwischen Honecker und Breschnjew verewigt haben, bis hin zu hinter Plexiglas gesicherten Mauerresten wird hier alles aufgefahren, um Geschichte zum Konsumerlebnis zu machen. Wieder draußen angekommen, lässt man sich dann umringt von zwei Alliierten fotografieren. Der Russe und der Amerikaner stehen da fertig zum Ablichten. Disneyland der Weltgeschichte. Hier kommt man ohne konkrete Erinnerungen aus, das Prinzip der Kostümkammer macht jeden Ort und jede Zeit gleichsam greifbar - immer. Ein nachträgliches Happy End ist damit allerdings nicht verbunden.

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