Psychosomatik: Schwindel, Herz- oder Magenprobleme haben oft seelische Ursachen. Aber Hilfe ist möglich

Vor einigen Jahren hatte Irene K. eine lebensbedrohliche Krebserkrankung überstanden. Seitdem litt sie unter der Angst, sie könnte wieder krank werden. Und tatsächlich: Regelmäßig machten Schwindel-Attacken sie hilflos. Dann konnte sie sich nicht mehr auf den Beinen halten. Oft kamen Übelkeit und Erbrechen hinzu, manchmal auch Schweißausbrüche und Herzrasen. Doch die Ärzte fanden keine organische Ursache für ihr Leiden. Schließlich gab es eine Diagnose: Schwindelsyndrom als Angstäquivalent. Das bedeutet: Der Schwindel war ein Ausdruck ihrer Angst. Der Angst, wieder krank zu werden.

Wenn die Seele den Körper krank macht, sprechen Mediziner von psychosomatischen Erkrankungen (aus dem Griechischen: Psyche = Seele, Soma = Körper). Viele Patienten kommen mit Leiden, die auch andere Ursachen haben könnten: Bluthochdruck und Atemnot, Herzrhythmusstörungen, Magen- und Darmprobleme, Migräne oder Kopfschmerzattacken.

Wenn jedoch aufwendige medizinische Diagnostik keine körperlichen Ursachen zu Tage bringt, "dann suchen wir nach einem seelischen Zusammenhang", sagt Prof. Dr. Dr. Stephan Ahrens (58). Ein wichtiger Anhaltspunkt: "Wenn kurz vor Ausbruch der Erkrankung das Lebensgefüge durcheinander geraten ist" und sich dadurch ein "innerer Konfliktdruck" aufgebaut habe, so Ahrens, könne sich dieser schließlich in einer Krankheit entladen.

Der Chefarzt der Abteilung für Psychosomatik und Schmerztherapie im Asklepios-Krankenhaus Rissen nennt einige klassische Auslöser: der Verlust eines nahe stehenden Menschen, ein Karriereknick, die ständige Überforderung in der Familie oder im Beruf.

Je nach Alter und Geschlecht treten einige Reaktionen häufiger auf. Essstörungen zum Beispiel gibt es zehnmal häufiger bei Frauen, psychosomatisch bedingte Herzerkrankungen häufiger bei Männern.

Die Spezialisten kennen ein weiteres Krankheitsmuster. "Erkrankungen, die vor langer Zeit - oft in der Kindheit - aufgetreten sind, werden durch inneres Erleben wieder neu entfacht", beschreibt Ahrens dieses Phänomen. Unbewusst reagiere der Körper auf eine seelische Verletzung dann mit diesem "alten" Krankheitsmuster, "das er gespeichert hat und das er noch kennt".

So können längst überwunden geglaubte Schübe von Asthma oder Migräne ausgelöst werden. Sie schaffen "eine Ausdrucksschneise für die seelische Belastung". Auf jeden Fall müsse aber bei solchen Patienten ergänzend auch eine genetische Veranlagung für die jeweilige Erkrankung vorliegen.

Wie können die Mediziner diesen Patienten helfen?

Der erste Schritt: Zunächst werden die organisch auftretenden Leiden behandelt, zum Beispiel auch mit Arzneimitteln. Damit sind jedoch noch nicht die Ursachen beseitigt. Um diese geht es "im Kern unseres Therapieangebots", so Ahrens. Zunächst werde den Betroffenen geholfen, "über die Schwelle" ihrer Erkenntnis zu gelangen, dass es nicht nur einen zeitlichen, sondern auch einen ursächlichen Zusammenhang zwischen innerem Erleben und ihrer äußeren Form der Erkrankung gegeben hat.

Manchen Patienten helfe allein dieses Wissen schon weiter. Für andere werde ein individuelles Therapieangebot zusammengestellt. Die entscheidende Frage des Therapeuten: Was hilft bei der Heilung der seelischen Verletzung in diesem konkreten Fall?

Zum Grundtherapieangebot in der Klinik Rissen gehören Gruppen- und Einzelgespräche in vertraulichem Rahmen mit einem geschulten Therapeuten. Hinzu kommen Formen der Körpertherapie, etwa nach der Feldenkrais-Methode, benannt nach ihrem Begründer, dem israelischen Physiker Moshe Feldenkrais (1904-1984). Das Ziel: Die Betroffenen sollen sich mit Hilfe sanfter Bewegungsabläufe besser erkennen und zudem verstehen, wie sie sich selbst sehen. Ebenfalls im Therapieangebot:

. konzentrative Bewegungstherapie,

. Kunst- und Musiktherapie,

. Physiotherapie, Entspannung,

. spezielle Schmerztherapie.

Ahrens, der auch Ärztlicher Direktor der Rissener Klinik ist, verweist auf den Erfolg seiner Abteilung: "80 Prozent unserer Patienten bezeichnen sich anschließend als gesund oder deutlich gebessert."

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