Psychiatrie: Angst, Depressionen oder Essstörungen - Zeichen dafür, dass die Seele aus der Balance gerät. Das Abendblatt informiert in den kommenden Wochen über psychische Störungen und ihre Behandlung

Wie macht sich eine Depression bemerkbar? Was kann man bei Panikattacken tun? Wie werden Essstörungen behandelt? In der Serie "Unterschätzte Leiden - seelische Erkrankungen und ihre Behandlung" von Abendblatt und NDR 90,3 informieren Hamburger Experten in den kommenden Wochen über die wichtigsten seelischen Erkrankungen und ihre Behandlung. Außerdem gibt es Buchtipps und Kontaktadressen.

Über Krankheiten der Seele wird ungern gesprochen. Und doch sind viele Menschen davon betroffen. Ein Prozent der Bevölkerung leidet an Schizophrenie, acht Prozent an Depressionen. Nach einer Erhebung der Deutschen Angestellten Krankenkasse ist die Zahl der Arbeitsunfähigkeiten durch Depressionen von 1997 bis 2001 um 51 Prozent gestiegen. Ein Grund dafür: "Trotz des Tabus um diese Störungen ist die Scheu, mit psychischen Erkrankungen einen Arzt zu konsultieren, geringer geworden, so dass mehr Menschen zum Nervenarzt gehen", sagt Dr. Eveline Krause, 2. Vorsitzende des Berufsverbandes der Nervenärzte in Hamburg.

"Faktoren, die bei entsprechender genetischer Veranlagung zum Auftreten einer seelischen Erkrankung beitragen können, sind eine fehlende Lebensperspektive, zum Beispiel bei Arbeitslosen, eine Lockerung der sozialen Bindungen, einschneidende Lebensereignisse wie der Tod eines nahen Angehörigen und Dauerstress", so die Psychiaterin auf Grund ihrer langjährigen Erfahrung. Aber es gibt auch schützende Faktoren: "Bildlich gesprochen, stellen Familie/Partnerschaft, Beruf und Hobby ,die drei Beine eines Schemels' dar. Sind sie stabil, steht der Schemel, sprich die seelische Gesundheit, auf sicheren Beinen. Wenn ein Bein ,wackelt', gerät die Seele schneller aus der Balance. Wenn zwei Beine ,wackeln', ist das seelische Gleichgewicht schon sehr instabil."

Deshalb sollte man zur Vorbeugung dafür sorgen, dass "die drei Beine" fest stehen. Werden sie instabil, braucht der Mensch möglicherweise Hilfe. "In den vergangenen 20 Jahren hat in der Psychiatrie die ambulante Versorgung an Bedeutung gewonnen", so Krause. Zwar sei es im akuten Fall öfter noch nötig, Patienten stationär aufzunehmen, doch heute würden sie wesentlich früher in die ambulante oder teilstationäre Therapie in einer Tagesklinik entlassen.

Auch die Medikamente haben sich verbessert. Für die Schizophrenie gibt es schon lange so genannte Neuroleptika, die sehr wirksam sind, aber erhebliche Nebenwirkungen haben, wie etwa Bewegungsstörungen. Seit 1996 gibt es neue Medikamente, atypische Neuroleptika, die besser verträglich sind. "Da die Patienten nicht mehr so sehr unter Nebenwirkungen leiden, besteht auch weniger Gefahr, dass sie die Medikamente absetzen und damit einen Rückfall riskieren", sagt Krause und nennt ein Beispiel: "Ich habe eine Patientin, die seit 1996 an einer Schizophrenie leidet. Nach einer stationären Behandlung bekam sie ein altes Neuroleptikum verschrieben, dass sie wegen der Nebenwirkungen wieder absetzte. Die Folge: erneute Einweisung in die Klinik 1997. Seit 1998 bekommt sie atypische Neuroleptika, wird ausschließlich ambulant behandelt und war nur zweimal für je drei Tage arbeitsunfähig." Das Beispiel zeigt, dass die neuen Medikamente, die zwar erheblich teurer sind, auch Kosten senken können. Doch niedergelassene Ärzte haben wegen des Kostendrucks im Gesundheitswesen und gedeckelter Praxisbudgets Probleme, sie zu verschreiben. "Die Arzneimittel für die oben genannte Patientin sind so teuer, dass ich nach meinem Budget damit sieben Patienten behandeln müsste. Wenn ich mein Budget überziehe, kann ich dafür persönlich in Haftung genommen werden", sagt Krause.

Bei vielen Erkrankungen gilt die Kombination von Medikamenten und Psychotherapie als beste Behandlung. Aber es sind auch heute noch bei vielen Psychotherapeuten Wartezeiten von bis zu mehreren Monaten in Kauf zu nehmen. Vor einer Therapie können Arzt und Patient in fünf Probestunden feststellen, ob die "Chemie" zwischen ihnen stimmt.

Wichtig sei auch die Psychoedukation, so Krause. Dabei wird der Patient so über seine Krankheit informiert, dass er vor einer erneuten Erkrankung selbst die Symptome rechtzeitig erkennen und sich Hilfe holen kann. Zudem gibt es Hilfe bei Bewältigung des Alltags, die Soziotherapie. Ein Ausbau dieser Versorgung sei geplant, aber es fehle noch die Vertragsgrundlage mit den Krankenkassen.

"Es sind alle Angebote vorhanden, um seelisch kranke Patienten gut behandeln zu können. Das Problem ist, wie sie zu bezahlen sind", schildert Krause das Dilemma der Psychiatrie von heute.