Psychiatrie: Himmelhoch-jauchzend, zu Tode betrübt - Medikamente und ein gesunder Lebensstil können manisch- depressiven Menschen helfen, die gesunde Mitte zu finden

Die Hölle lag hinter mir. Vier Monate war jeder Tag für mich eine Qual. Morgen für Morgen wachte ich um vier Uhr auf, Unruhe und Angst quälte mich. Dennoch kostete mich das Aufstehen unglaubliche Überwindung, alles fiel mir schwer, auf nichts konnte ich mich konzentrieren, ich verlor an Gewicht", schildert Rolf. "Aber jetzt ist alles ganz anders! Das Leben gehört mir! Heute war ich um drei Uhr morgens putzmunter, sprang aus dem Bett und in meinem Kopf wirbelte es nur so von Ideen, was ich ändern sollte - so muss der alte Familienwagen weg. Und wie es sich so fügt, auf dem Weg zur Arbeit, leuchtete mir plötzlich der Namenszug einer Edelmarke entgegen. Den Verkäufer hatte ich schnell überzeugt und schon saß ich in der Edelkarosse - ohne Kreditkarte und Kaufvertrag. Stolz fuhr ich damit zu meiner Familie nach Hause. Doch die war nur entsetzt. Ich war empört, kaufte erst einmal richtig ein!"

Was so unterhaltsam klingt, sind Anzeichen einer handfesten manisch-depressiven Erkrankung. "Vier Millionen Menschen leiden in Deutschland an dieser Krankheit, die oft ziemlich spät erkannt wird", sagt Dr. Hans-Peter Unger, Chefarzt der Psychiatrie am Allgemeinen Krankenhaus Hamburg-Harburg. Denn die ersten Symptome sind nicht leicht zu erkennen.

Die manisch-depressiven Erkrankungen, die international als bipolare Störungen, bezeichnet werden, können mit einer depressiven oder manischen Phase beginnen. "Treten diese das erste Mal in der Pubertät auf und haben einen leichten Verlauf, werden sie meist nicht erkannt. Oft unterbleibt eine Behandlung auch, wenn vier bis fünf Jahre später wieder eine Depression auftritt. Erst wenn die Manie sichtbar wird, wenn der Mensch plötzlich aufbrausend, euphorisch und hypervital wird, vor Ideen nur so sprudelt und kaum noch schläft, dann dämmert Verwandten und Freunden, dass etwas nicht stimmt", sagt der Psychiater. "Entscheidend ist eine klare Diagnose, um den Patienten erfolgreich zu behandeln." Denn von den manisch-depressiven Erkrankungen gibt es zwei Formen.

Bei der bipolaren Störung Typ I, an der weltweit ein Prozent der Frauen und Männer erkranken, wechseln schwere Manie mit schwerer Depression ab. "Die Depressionen dauern unbehandelt etwa fünf bis sechs Monate, die Manien etwa drei bis vier Monate", sagt Dr. Unger. Bei der bipolaren Störung Typ II wechseln schwere Depressionen mit leichten Manien ab. "Daran erkranken etwa drei bis acht Prozent der Bevölkerung. Gefährdet sind vor allem Menschen, in deren Familien die Krankheit schon einmal aufgetreten ist", sagt Unger. Gleichwohl sind die Ursachen dieser Erkrankung des Zentralen Nervensystems noch nicht abschließend bekannt. Diskutiert werden Störungen des Biorhythmus oder eine erhöhte Störbarkeit neuronaler Netzwerke.

"Zwar gibt es keinen Weg der Heilung, aber die Patienten können mit der Krankheit leben lernen", betont der Psychiater. "Vor allem die Häufigkeit und die Intensität der Phasen kann gemindert werden." An Medikamenten kommt kein Patient vorbei, betont der Arzt. Bekannt ist der Einsatz von Lithium. "Dieses Salz wirkt bei vielen Patienten ohne Nebenwirkungen stimmungsstabilisierend. Falls Hände zittern, das Gewicht steigt oder ähnliches auftritt, stehen uns noch drei weitere Medikamente zur Verfügung." Reichen diese nicht aus, verabreichen die Mediziner zudem noch atypische Neuroleptika oder Antidepressiva. "Es ist manchmal ein großer Aufwand, damit es den Patienten unterm Strich wirklich besser geht", sagt Dr. Unger. Doch immer noch werden Patienten mit alten Neuroleptika behandelt, die erhebliche Nebenwirkungen haben. Das muss sich ändern.

"Wenn die Medikamente gut vertragen werden, funktionieren sie wie die Servolenkung beim Auto. Wichtig ist aber, dass der Patient selber wieder lenken lernt", betont Dr. Unger. Er muss lernen, sich selbst zu stabilisieren und Auslösersituationen frühzeitig zu erkennen, um nicht auf die Achterbahn der Gefühle zu geraten. "Ein klarer Tagesablauf, geregelte Schlafenszeiten und ein vorsichtiger Umgang mit Alkohol erleichtern das. So kann verhindert werden, dass der Biorhythmus außer Kontrolle gerät."

Der Patient müsse zum Experten seiner Krankheit werden, Psychotherapie kann ihn dabei unterstützen. "Die Behandlung muss über Jahre erfolgen", sagt der Arzt. "Wichtige Hilfe erhalten Betroffene und Angehörige in den Selbsthilfegruppen."