Psychiatrie: Ob Herdkontrollieren oder Händewaschen - Zwänge haben Betroffene fest im Griff. Verhaltenstherapie und Medikamente können das Leiden lindern

Hab ich den Herd ausgeschaltet, das Bügeleisen, den Fernseher? Oder sollte ich doch zurückfahren und kontrollieren, ob alles in Ordnung ist? Ein Gedanke, der einem schon mal durch den Kopf schießt. Aber es gibt Menschen, die von solchen Befürchtungen regelrecht getrieben werden und immer wieder bestimmte Dinge nachkontrollieren, bis dahin, dass diese Handlungen den Tag ausfüllen. Sie leiden unter einem Kontrollzwang, einer Form der so genannten Zwangsstörungen, die in Deutschland mehr als zwei Prozent der Bevölkerung betreffen.

"Von einer Zwangsstörung spricht man erst, wenn jemand unter Verhaltensweisen leidet. Diese Patienten empfinden ihre Handlungen selbst als unsinnig, können sich aber nicht dagegen wehren", sagt Dr. Michael Armbrust, Oberarzt in der Medizinisch-Psychosomatischen Klinik Bad Bramstedt und Teamleiter des Schwerpunktbereiches Zwangsstörungen. Im Gegensatz zu Gesunden, die solche Impulse schnell wieder verwerfen, werden diese Menschen zu bestimmten Handlungen gezwungen. "Kontrollzwänge sind am häufigsten, gefolgt von Wasch- und Putzzwängen, bei denen Betroffene zum Beispiel drei Stunden am Tag duschen oder stundenlang den Teppich nach Fusseln absuchen", berichtet der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie. "Dann gibt es noch Ordnungszwänge. Das kann so aussehen, dass jemand vier Stunden die Kleidung im Schrank ordnet, eine Liste anfertigt, diese nachkontrolliert und wenn etwas nicht stimmt, wieder von vorn anfängt. Bei einer weiteren Form zählt der Betroffene immer wieder alles Mögliche, wie Treppenstufen, Schlucke beim Trinken oder sogar die Erhebungen auf einer Raufasertapete."

Neben diesen Handlungszwängen gibt es Gedankenzwänge, bei denen sich immer wieder die gleichen quälenden Gedanken aufdrängen. Oft sind beide miteinander verknüpft, und sie laufen immer nach dem gleichen Schema ab: "Im Gegensatz zum Gesunden, der solche Gedanken wieder als unsinnig verwerfen kann, zwingt sich dem Kranken ein Gedanke auf. Dieser taucht ohne besonderen Anlass plötzlich auf, verursacht Unbehagen, Unruhe und Angst und mündet in Katastrophenangst und Zwangshandlungen, die die Angst vorübergehend reduzieren. Doch bald kommt der nächste Zwangsgedanke, und das Ganze geht von vorne los - ein Teufelskreis", so der Psychotherapeut.

Die Befürchtungen drehen sich zum Teil um religiöse Inhalte, zum Beispiel wenn jemand befürchtet, dass er nicht ins Paradies kommt, weil er etwas falsch gemacht hat. Daneben gibt es aggressive Zwangsgedanken, etwa wenn eine Mutter befürchtet, sie könnte ihr Neugeborenes aus dem Fenster werfen und als Gegenmaßnahme alle Fenster verriegelt. Häufig sind vor allem Zwangsbefürchtungen, sich mit etwas infiziert oder kontaminiert zu haben, zum Beispiel HIV, BSE, Umweltgifte.

Die Ursachen dieser eigentümlichen Störungen sind vielfältig. "Besonders gefährdet sind Menschen, die ein hohes Maß an Verantwortungsgefühl haben, unter vielen Ängsten leiden, unsicher sind oder sich generell mit Entscheidungen schwer tun. Dann können die Auslöser ganz zufällig sein", beschreibt Armbrust und erzählt von einer Patientin, die ihr Auto in die Werkstatt brachte, dort zu hören bekam, dass die Reifen stark abgefahren waren, was sehr gefährlich sei. "Sie begann darüber nachzudenken, was alles hätte passieren können - und fuhr dann überhaupt nicht mehr mit dem Auto."

Außerdem haben Forscher bei Zwangspatienten Veränderungen im Gehirn gefunden. "Bestimmte Regionen im Gehirn, zuständig für die motorische Handlungskontrolle, sind überaktiv. Und diese Regelkreise werden durch den Nervenbotenstoff Serotonin beeinflusst. Deswegen erhalten die Patienten Antidepressiva, die den Serotoninspiegel im Gehirn erhöhen und eine Verhaltenstherapie, um den Teufelskreis zu durchbrechen. Es hat sich herausgestellt, dass sowohl die Medikamente als auch die Verhaltenstherapie diese Funktionsänderungen im Gehirn rückgängig machen können und damit auch die Zwangsstörungen zurückgehen", erklärt Armbrust.

Das Grundprinzip der Therapie besteht darin, den Patienten mit Situationen, die ihm am meisten Angst machen, zu konfrontieren und die Zwangshandlungen zu unterdrücken. "Nach vorbereitenden Gesprächen mit dem Therapeuten muss der Patient eine Übung machen, bei der er sich dem, was ihm am meisten Angst macht, bewusst aussetzt, zum Beispiel beim Waschzwang dem Anfassen einer Türklinke. Anschließend darf er sich nicht die Hände waschen. Es gibt eine mehrstufige Therapie, oder man setzt den Patienten dem, was ihn ängstigt, maximal aus", erklärt Armbrust und berichtet, dass er einer Patientin, die jeden Tag drei Stunden duscht, für fünf Tage das Duschen verboten habe. "Dadurch sollen die Patienten lernen, dass das Schlimmste, was sie sich vorgestellt haben, noch übertroffen wird, und dass trotzdem nichts passiert. Außerdem gibt es einen Gewöhnungseffekt, das heißt die Patienten stellen fest, dass die starke Angst beim Unterlassen des Zwangshandlung von selbst ab einer Viertelstunde nachlässt", so Armbrust.

Intensität und Dauer der Therapie richten sich nach dem Schweregrad des Zwangs. "Sie wird meist ambulant durchgeführt, und bei leichten Zwängen reichen 25 Therapiestunden oft aus", so Armbrust. In schwereren Fällen oder wenn zu dem Zwang eine Depression hinzukommt, werden die Patienten stationär behandelt, meist acht bis zwölf Wochen.

Mit der Therapie können die Zwänge gelindert, aber in vielen Fällen nicht komplett geheilt werden, aber Armbrust betont: "Je früher sie behandelt werden, umso größer ist der Erfolg, weil sich die Verhaltensweisen noch nicht eingeschliffen haben."