Sein angeblicher “Kampf ums Überleben“ geht auf eine falsche Übersetzung zurück. Der geniale Naturforscher fasziniert noch 200 Jahre nach seiner Geburt.

Charles Darwin hat unsere Welt verändert. Seine Theorie hat auch 200 Jahre nach seiner Geburt am 12. Februar 1809 und 150 Jahre, nachdem er sein bahnbrechendes Werk "Über die Entstehung der Arten" veröffentlicht hat, nichts an Aktualität eingebüßt. "Sie ist bis heute nicht widerlegt worden", betont Prof. Angelika Brandt. Die international anerkannte Zoologin - das US-Journal "Science" zählt ihre Entdeckung von rund 700 neuen Arten in der antarktischen Tiefsee zu den zehn wichtigsten Erkenntnissen des Jahres 2007 - leitet das Zoologische Museum der Uni Hamburg. Hier diskutierten kürzlich Experten mit 120 Abendblatt-Lesern über Darwin, den Kopernikus der Biologie, beim 51. Hamburger Wissenschaftsforum von NDR 90,3 und dem Abendblatt.

Dabei ging es um die Meisterleistung von Darwin, aber auch darum, wo die Grenzen seines Werkes sind.

"Darwin hat durch seine exakten Beobachtungen, vor allem während seiner Reise auf dem Segelschiff ,Beagle', gezeigt, dass die Entstehung der Vielfalt der Arten ein natürlicher Prozess ist. Die natürliche Auswahl führt zum 'survival of the fittest', zum Überleben des Lebewesens, das am besten an die Umweltbedingungen angepasst ist. Diese Auswahl", so Prof. Brandt, "folgt keinem Plan, sondern dem Zufall." Darwin wandte sich mit seiner Theorie gegen die damals vorherrschende Auffassung, dass jede Art - einmal von Gott geschaffen - unveränderlich sei. Er zeigte, dass es eine Einheit des Lebens gibt. Er vermutete, dass sich die Vielfalt des Lebens aus einer oder mehreren Urformen entwickelt hat.

"Dabei hat Darwin nicht alles neu erfunden. Schon sein Großvater, der Arzt Erasmus Darwin, hat ein zweibändiges Werk zur Evolution formuliert, bevor Lamarck 1809 sein Werk schrieb", sagte Prof. Eve-Marie Engels. Die Tübinger Philosophin, Autorin des Buches "Charles Darwin", ist eine profunde Kennerin Darwins und seines Werks. "Zudem herrschte in den Familien, in denen Darwins Eltern aufwuchsen, eine aufgeklärte und humanistische Tradition. Seine beiden Großväter, Erasmus Darwin und Josiah Wedgwood (Keramikfabrikant), setzten sich für die Französische Revolution und gegen die Sklaverei ein." Zunächst habe Darwin, der seinen Abschluss in Theologie in Cambridge ablegte und Landpfarrer werden wollte, an die wörtliche Bedeutung der Bibel geglaubt.

Doch dann bekam Darwin, der sich auch als Naturforscher gebildet hatte, die Chance, auf der "HMS Beagle" die Welt zu umrunden. "Er brach auf, mit dem Ziel, durch das genaue Studium der Natur die Weisheit und Allmacht Gottes zu beweisen. Doch statt die Naturtheologie zu bestätigen, entwickelte und festigte sich in ihm der Gedanke der Entwicklung der Vielfalt des Lebens durch natürliche Selektion." Gleichwohl habe er daraus nicht sofort die Schlussfolgerung gezogen, "dass er eine Theorie entwerfen kann, die gänzlich ohne einen Schöpfergott auskommt. Er schloss nicht aus, dass Gott am Anfang allen Lebens stand", so Engels. Aber Darwin betonte, dass es keinen göttlichen Plan gebe, nach dem die Evolution verlaufen sei. Engels zitierte Darwin: "Die Varietäten erweisen sich unter den jeweiligen Existenzbedingungen und dem Druck der natürlichen Selektion als zweckmäßig, sie sind somit zufällig und nicht geplant."

Daher könne die Empörung über diese Theorie nicht verwundern, kommentierte Prof. Mojib Latif. Der international anerkannte Klimaforscher vom Institut für Meereskunde, IfM-Geomar in Kiel, ist auch ein Kenner der Religionen. "Damals war die Schöpfungsgeschichte der Bibel Stand des Wissens. Und dann kommt Darwin und wirft alles über den Haufen. Das war ein Aufeinanderprallen zweier Extreme. Stärker kann ein Kontrast gar nicht sein, und das wirkt bis heute nach, bis heute scheiden sich daran die Geister. Wer an die Bibel und an Darwin zugleich glaubt, hat zwei Weltsichten in sich selbst vereinigt. Das muss immer zu Irritationen führen."

Zugleich sei es fast schon aberwitzig, so Latif, dass die Menschen selber "Gott spielen". Der Mensch, der als einziges Tier infolge seiner geistigen Entwicklung eine derart umfassende kulturelle Evolution durchläuft, beeinflusse die biologische Evolution auf der Erde gleich in zweifacher Hinsicht: durch seine schiere Zahl und durch die (bio-)technischen Entwicklungen. Der Mensch gestalte das Leben in einem nie gekannten Ausmaß - und mit ungewissem Ausgang.

Dabei sind längst nicht alle evolutionsbiologischen Fragen beantwortet. Darwin hinterließ seinen Erben viel Arbeit. Zunächst einmal sei es immer noch nötig, so Prof. Diethard Tautz, Direktor des Max-Planck-Instituts für Evolutionsbiologie in Plön, "die Missverständnisse über Darwin beiseitezuräumen. Eines davon ist die falsche Übersetzung von 'survival of the fittest'. Der Ausdruck bedeutet nicht, dass der Stärkste, sondern das an die jeweiligen Umweltbedingungen am besten angepasste Lebewesen begünstigt wird." Und auch "struggle for existence" sei mit "der Kampf ums Überleben" falsch übersetzt, ergänzte Engels. Darwin verstand darunter nicht nur einen gewaltsamen Konkurrenzkampf innerhalb oder zwischen den Arten, sondern auch Kooperationsstrategien innerhalb wie zwischen den Arten.

"Evolutionsforschung bewegt sich heute vor allem auf der molekularbiologischen Ebene, um die genetische Basis der Evolution zu ergründen", erläuterte Prof. Tautz. "Mit den besseren mathematischen Modellen, die Basis für die Populationsgenetik, und neuen Labortechniken, haben wir Instrumente, um die Evolutionsgeschichte in der DNA zu lesen. Wir können Anpassungen erkennen, weil sie im Erbmolekül niedergeschrieben sind." Dazu vergleicht der Wissenschaftler das Erbgut von Mäusen, die eine bestimmte Eigenschaft haben, mit dem Erbgut von Mäusen, die diese Eigenschaft nicht haben. Aus den Unterschieden können die Genetiker die für die Evolution wichtigen DNA-Abschnitte erkennen.

Dabei wirkt das Erbe Darwins weit über die Naturwissenschaften hinaus, wie Prof. Engels erläuterte: "Darwin beschreibt den Menschen als das einzige Tier, das nach seinen Studien moralfähig ist. Das Mitgefühl ist 'zur treibenden Kraft der Evolution geworden. Und das Edelste am Menschen seien die sozialen Tugenden. Wir dürfen die Kranken und Schwachen eben nicht dem Schicksal überlassen', so Darwin in seinem Werk über die 'Abstammung des Menschen' . Dieses und die Erkenntnis, dass der Mensch mit allen Lebewesen verwandt ist, sollten wir fruchtbar machen für eine neue Ethik."

Bei aller Einigkeit gab es auch Streit: Hat Darwin darüber nachgedacht und Ideen entwickelt, wie neue Arten entstehen? Prof. Tautz sagte Nein, Prof. Engels hielt zitatenreich dagegen. Die Debatte zeigt: Auch 150 Jahre nachdem sein Werk "Die Entstehung der Arten" erschienen ist, gibt es Naturwissenschaftlern noch Rätsel auf. Der Prozess der Weitereinwicklung von Darwins Theorie ist nicht beendet. Vielleicht gibt es sogar eine Evolution, gab Prof. Latif zu bedenken, die auch die unbelebte Natur erfasst.


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