Interview mit Dr. Martin Engelbrecht, Universität Erlangen-Nürnberg, dem Verfasser der Studie "Was Männern Sinn gibt" an der Uni Bayreuth.

ABENDBLATT: Ist es für Männer schwieriger als für Frauen, über Gott, Glaube und spirituelle Bedürfnisse zu sprechen?

ENGELBRECHT: Ja, ich glaube schon. Der "Stil", mit weltanschaulichen Fragen umzugehen, ist bei Männern und Frauen recht unterschiedlich, wie wir aus vergleichbaren Studien wissen. Frauen sind experimentierfreudiger in religiösen Praktiken aller Art; sie gehen in Kurse, probieren gemeinsam kirchliche oder spirituelle Angebote aus und testen nach einem halben Jahr wieder andere. Wenn sie nicht mit allem übereinstimmen, was dort gesagt wird, finden sie das nicht so wichtig. Hauptsache ist, ob es ihnen guttut. Männer gehen das Ganze viel theoretischer an. Sie legen sehr viel Wert darauf, daß ein religiöses Gedankengebäude stimmig ist, bevor sie sich darauf einlassen.

ABENDBLATT: Sie schreiben: "Lebenssinn liegt für Männer in dem, was sie erschaffen und aufbauen." Was ist damit gemeint?

ENGELBRECHT: Manche haben ein eigenes Geschäft aufgebaut und sind ihr eigener Boss geworden. Für andere ist der Blick auf die eigene Leistungsfähigkeit wichtig: Ich kann etwas. Daneben oder sobald der Beruf im Leben zurücktritt, gibt es eine Fülle von Freizeitaktivitäten, in denen Männer sich etwas aufbauen. Aber die Männer sind nicht der Ansicht, daß nur das, was sie erschaffen, in ihrem Leben Sinn ausmacht. Als genauso wichtig bewerten sie "erlebten Sinn", zum Beispiel ein besonders eindrucksvolles Konzert oder ein Naturerlebnis; oder "erfahrenen Sinn", also Zufälle und Fügungen, die ihr Leben stark beeinflußten; zum Beispiel eine Begegnung, durch die das Leben eine neue Wendung nimmt. Die Männer sind sich durchaus bewußt, daß sie große Teile ihres Lebens nicht "im Griff" haben.

ABENDBLATT: Ein Leitmotiv ist bei allen die Ablehnung von Fremdbestimmung. Wird die nur in der Arbeitswelt empfunden oder auch in der Familie?

ENGELBRECHT: Männer fühlen sich durch den Job sehr stark fremdbestimmt. Bei der Familie ist es anders: Männer, die die Familie für sich akzeptiert haben, sich engagieren und viel mit ihren Kindern machen, zählen die Familie zum selbstbestimmten Bereich. Es gibt aber viele Männer, die diesen Schritt nie vollziehen. Die haben immer das Gefühl: Ich werde im Job fremdbestimmt, in der Familie auch, jetzt brauche ich noch mein Gärtchen ganz für mich allein, wo ich in Ruhe gelassen werde. Dieses große Bedürfnis nach selbstbestimmten Räumen taucht so regelmäßig auf, daß es ein Grundmuster ist. Ich glaube, daß es viel mit den Vorstellungen von Männlichkeit und Freiheit zu tun hat.

ABENDBLATT: Nur zwei Ihrer 60 Interviewpartner stellen sich einen Gott vor, der "schützend und führend in das individuelle Leben eingreift". Statt dessen weckt die "Natur" bei den meisten besondere spirituelle, fast religiöse Gefühle. Warum?

ENGELBRECHT: Viele Männer werden von klein auf mit der Erwartung konfrontiert: Du mußt selbst mit dem Leben fertig werden. Dazu paßt eine darwinistische Weltsicht besser: Entweder ich überlebe, oder ich gehe unter. Daß ein Gott eingreift und sie rauszieht, auch "auf Anfrage", damit rechnen die Männer nicht ernsthaft.

Bei dem Thema "Natur" werden viele Männer ganz lyrisch, verträumt, begeistert. In der Natur erleben sie sich selbstbestimmt; selbst Männer, die sich als atheistisch bezeichnen, stellen in der Natur am ehesten den Kontakt zu etwas her, das größer ist als sie selber. Deutschland ist ja ein stark romantisch beeinflußtes Land, das schlägt sich hier nieder. Es hat bei uns eine lange Tradition, schon bei Caspar David Friedrich oder Eichendorff oder Rilke, seinen Gott oder ein pantheistisches Weltbild in der Natur zu finden.

ABENDBLATT: "Kirche" ist nicht mit so positiven Gefühlen besetzt wie die Natur. Woran liegt das?

ENGELBRECHT: Die meisten der Interviewten haben das Gefühl, man wird da vielleicht mal angehört, nur kann man nicht wirklich etwas bewegen. Die Männer glauben aber, daß sie in punkto Lebenskenntnisse genauso Experten sind wie die Vertreter der Kirchen. Theologen reden in erster Linie mit anderen Theologen und hören auf andere Theologen. Laien fühlen sich da eher als Zielpublikum, aber nicht als jemand, der in der Kursbestimmung eine Rolle spielen soll.

ABENDBLATT: Sind die Angebote der Kirchen zu "weiblich", zu sehr auf Gespräche und Gefühle ausgerichtet statt auf Erleben?

ENGELBRECHT: Ich habe schon den Eindruck, daß das, was in den Kirchen zur Zeit angeboten wird, ein weibliches Publikum mehr anspricht als ein männliches. Aber ich bin nicht sicher, daß es im Umkehrschluß funktionieren würde, jetzt für Männer Spezialangebote zu machen, etwa Männerfreizeiten in der Natur. Vielleicht würde das eine Zeitlang klappen. Aber wenn dem keine theologische Öffnung folgt, wird das wieder versickern. Das Gefühl, man könne mit der Kirche etwas gestalten, ist bei den Männern einfach nicht da.

ABENDBLATT: Die Kritik macht sich oft an "Gottes Bodenpersonal" fest. Männer finden einen Pfarrer dann gut, wenn er wie ein Kumpel, also sehr unpriesterlich ist.

ENGELBRECHT: Die meisten Männer achten es, wenn ein Kirchenmann mal zugibt, daß er auch nicht alles weiß und daß das Leben für ihn auch bruchstückhaft ist; oder wenn sich Kirchenleute mehr als Mitsuchende präsentieren statt als Menschen, die schon eine fertige Wahrheit in der Tasche haben, die sie an den Mann bringen wollen. Aber es ist für die Seelsorger eine hohe persönliche Herausforderung, sich kritisch hinterfragen zu lassen, etwas von den eigenen Ängsten zuzugeben. Diejenigen, die ihre Krisen durchwandert und bewältigt haben, können das vielleicht. Aber wie will man das schulen?

ABENDBLATT: Wie wären die Kirchen denn männertauglicher?

ENGELBRECHT: Die Kirchen haben früher geistliche Fachleute gestellt, inzwischen haben sie auch pädagogische, therapeutische, psychologische Fachleute. Immer kommen sie als Profi zum Laien. Mit dieser Haltung kommen die Kirchen bei den Männern nicht mehr weiter. Die Männer verstehen sich auch als Profis auf verschiedenen Gebieten. Sie wollen das einbringen können. Die Kirchen könnten eine Alltagssolidarität herstellen. Nicht im Sinne einer Dienstleistungskirche, die Experten schickt, sondern im Sinne eines Netzwerks, in dem sich Menschen in ganz konkreten Situationen helfen. Männer müssen das Gefühl haben, daß sie in der Kirche etwas bewegen können - praktisch und ethisch für ihr eigenes Leben und das derer, die ihnen wichtig sind. Und nicht nur, daß sie die Bierkästen in den Keller tragen sollen fürs Gemeindefest.