Ein Dorf steht unter Schock. In der Schule fällt der Unterricht aus. Und als die Spurensicherung weg ist, zünden Nachbarn am Tatort Kerzen an.

Darry. Hier ist es geschehen. In Darry, Gemeinde Panker, Ostholstein. Das Einfamilienhaus mit der Nummer 9 steht in der Straße Sehden. Alle Fenster sind geschlossen, die Vorhänge zugezogen. Ein schmaler Adventskranz mit einer bleichroten Schleife hängt an der Tür, an der kein Name steht. Die Klingel fehlt. Ein Damenrad lehnt an der Hecke, vor der Einfahrt stehen zwei Mülltonnen. Plastiktüten quellen heraus, Einwegflaschen - und Windeln. Im Garten hinter dem Haus liegen Spielsachen, sorglos verstreut von Kinderhand. Bälle, ein Plastiklaster, ein Bobbycar. Regen fällt auf eine Schaukel, eine Rutsche, eine Wippe. Eine aufblasbare Hüpfburg ist in sich zusammengefallen.

Die Nachbarn sind fassungslos. Aber die meisten sagen, sie hätten nie Kontakt gehabt mit der Familie. Steffi B. war mit ihrem zweiten Mann, dem US-Amerikaner Michael K., und den Kindern Liam, Jonas, Justin, Ronan und Aidan im Alter von drei bis neun Jahren erst im August in das Haus im 500-Seelen Dorf gezogen. Die Familie lebte zurückgezogen, war noch immer mit Renovierungsarbeiten am Haus beschäftigt, so die Anwohner. Dass die anscheinend geistig verwirrte 31-jährige Steffi B. ihre fünf Söhne mit Tabletten betäubt und anschließend mit einer Plastiktüte erstickt haben soll, erfuhren die meisten Nachbarn aus den Medien.

Melanie Schäfer (Name von der Redaktion geändert) war wohl die engste Bezugsperson im Dorf. Die allein erziehende Anwaltsgehilfin wohnt gemeinsam mit ihrer Mutter und zwei Töchtern in einem reetgedeckten Haus direkt hinter der Nummer 9. "Wir hatten fast täglich Kontakt mit dem Vater und den Kindern, weil der jüngste Sohn mit meiner jüngsten Tochter in den Kindergarten ging. Aber den Namen der Mutter kannte ich nicht. Wir haben sie nur ein- oder zweimal gesehen." Sie habe einen normalen Eindruck gemacht, "vielleicht ein wenig gestresst - aber bei fünf Kindern, von denen eines an Autismus und eines an ADHS litt, ist das ja kein Wunder".

Der amerikanische Vater, "Mike", nicht die Mutter, habe sich immer um die Kinder gekümmert, so Schäfer. "Der war rührig. Er hat sie angezogen, ihnen Essen gemacht, mit ihnen gespielt. Den Jüngsten hat er zum Kindergarten gebracht und ist mit ihm zum Spielplatz gegangen", so Schäfer. Verwahrlost seien die Kinder entgegen ersten Berichten nicht gewesen. "Der Jüngste hatte im Kindergarten immer saubere Windeln an." Michael, der als Ein-Euro-Jobber nachmittags an der Lütjenburger Grundschule arbeitete, habe im Erdgeschoss gewohnt, die Mutter mit den Kindern im Obergeschoss. An Wochenenden kam der erste Mann der 31-Jährigen zu Besuch, um die zwei Söhne aus erster Ehe abzuholen. Unter der Woche half er beim Renovieren. Auch dies schien eine "gute" Beziehung gewesen zu sein.

Da sich immer zumindest ein Elternteil um die fünf "quirligen, lieben" Jungen gekümmert hat, habe sie sich nie um ihr Wohlergehen gesorgt, so Schäfer. "Ich bin absolut fassungslos. Es wird dauern, bis wir alle begreifen, was hier vorgefallen ist. Ich habe mich für morgen krank gemeldet, will Zeit mit meinen Töchtern verbringen." Michael K. habe sie zuletzt am Dienstagabend gesehen, einen Tag vor der furchtbaren Tat.

An der Grundschule in Darry, wo Jonas und Justin die erste und dritte Klasse besuchten, findet am Tag nach dem traurigen Verbrechen kein Unterricht statt. Der Spielplatz und das Fußballfeld unterhalb der Schule liegen stumm unter der dunklen Wolkendecke. Vor dem Schuleingang parkt ein Streifenwagen. Drinnen kümmern sich vier Pastoren um die Lehrer und 72 Schüler bis in die Nachmittagsstunden, ein Psychologe sorgt sich um die Angestellten und Kinder des Kindergartens nebenan. Auch viele Eltern nehmen diese Betreuung an. "Ich bleibe heute Morgen hier, weil ich nicht weiß, wie ich meinem Sohn erklären soll, dass sein Spielkamerad nicht mehr kommen wird", sagt eine Mutter unter Tränen.

Ratlosigkeit spricht aus den Gesichtern der Einwohner von Darry. Worte finden sie nicht. Die 16-jährigen Kevin und Philipp haben mit den älteren Jungs und dem Vater mal "gekickt", Taxi-Fahrer Eckhard Wohlert sagt, er habe Michael K. seit August zwei- oder dreimal zum Einkaufen ins benachbarte Lütjenburg gefahren. Anne-Lore Schlecht, die am Schulweg wohnt, sagt, die Familie habe nicht an Aktivitäten im Dorf teilgenommen, etwa dem jährlichen "Tannenleuchten" am ersten Adventswochenende: "Also kann man sie ja auch gar nicht kennen."

Als die Spurensicherung der Polizei am späten Nachmittag die Straße Sehden verlässt, zünden zahlreiche Anwohner vor dem Haus Kerzen an, legen Teddybären und Blumen nieder.

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Die stellvertretende Vorsitzende des Kinderschutzbunds Plön, Marion Becker, an die sich die Familie Steffi B. vor einigen Jahren gewandt hat, wollte sich nicht öffentlich zur Situation der Familie äußern. Sie habe ihre Informationen bereits vertraglich einem einzelnen Medium zugesichert, so Becker gegenüber dem Abendblatt. Wie viel sie für ihr Stillschweigen erhalten habe, sagte sie nicht.