Beim letzten Hausbesuch von Sozialarbeitern habe nichts auf eine bevorstehende Katastrophe hingedeutet, versichert Plöns Landrat. Der Kreis habe sich nichts vorzuwerfen.

Plön. Die entscheidende Frage kommt für Plöns Landrat Volkmar Gebel (CDU) überraschend. "Muss sich der Kreis Plön Vorwürfe machen, weil seine Mitarbeiter sich über Monate um Steffi B. kümmerten und die 31-Jährige dennoch ihre fünf Kinder tötete?" Gebel überlegt einen Augenblick. "Ich glaube nicht, dass wir uns Vorwürfe machen müssen", sagt er dann leise. Im kleinen Kreis Plön gebe es 500 problematische Familien, bei denen man nie wisse, wie sie sich entwickelten. "Vermeidbar ist ein Fall wie in Darry wohl nicht und nie."

Der Fall, das ist Steffi B., die unter Wahnvorstellungen leidet. Am Dienstagabend, dem 4. Dezember, brennt bei der offenbar überforderten Mutter eine Sicherung durch. Ihr Mann Michael K., der leibliche Vater von Aidan (3), Ronan (5) und Liam (6) sowie Ersatzpapa von Jonas (8) und Justin (9), hat nach Eheproblemen das Einfamilienhaus in Darry verlassen. Ob er für immer gehen wollte, ist unklar. Steffi B. gibt ihren fünf Kindern Schlafmittel. Das ergibt später die Obduktion. Danach erstickt sie einen Jungen nach dem anderen, vermutlich, indem sie ihnen eine Plastiktüte über den Kopf zieht. Alle Leichen liegen in einem Zimmer. Am Mittwoch fährt sie nach Neustadt, bittet um 12 Uhr beim Pförtner der psychiatrischen Klinik um Aufnahme. An den Unterarmen hat sie Schnittwunden, ein Indiz für einen Selbstmordversuch. Der Stationsarzt lässt sie in der Chirurgie versorgen, spricht um 15 Uhr ein zweites Mal mit ihr. Da gesteht Steffi B., ihre fünf Kinder getötet zu haben.

"Die Frau ist absolut schuldunfähig", erklärt der Kieler Oberstaatsanwalt Uwe Wick. Die Staatsanwaltschaft habe daher beim Amtsgericht beantragt, die Frau vorläufig in einer psychiatrischen Einrichtung unterzubringen. Bei Fragen, wie lange und wie schwer die Frau schon psychisch krank war, zieht Wick sich auf das Strafgesetzbuch zurück: "Uns interessiert nur der Tatzeitpunkt."

Klar ist allerdings, dass die Katastrophe nicht aus heiterem Himmel kam. Der Allgemeine Soziale Dienst (ASD) des Kreises Plön wurde schon vor fast vier Monaten über Steffi B., ihre psychischen Probleme, die Probleme mit ihrem Ehemann und ihren Kindern informiert, schildert Landrat Gebel auf der Pressekonferenz die Vorgeschichte. Am 13. August meldet sich eine Nachbarin beim ASD, berichtet, dass die Familie Hilfe braucht. Um den Hilferuf hatte Michael K. gebeten. Er ruft auch selbst an, schaut einen Tag später beim ASD in Preetz vorbei, erzählt dort von der kriselnden Ehe. Nur gut 24 Stunden später spitzt sich die Lage zu. K. ruft abends den Sozialpsychiatrischen Dienst (SpD) des Kreises an, schüttet dessen Leiterin Petra Ochel eine halbe Stunde lang sein Herz aus. Dabei erzählt er auch von den "religiösen Fantasien" seiner Ehefrau. Ochel, eine erfahrene Ärztin, sieht keine akute Gefahr, vereinbart aber für den nächsten Tag einen Hausbesuch. Steffi B. ist "steuerungsfähig", argumentiert sauber. Allerdings klingen auch religiöse Fantasien an, Anzeichen für eine schizophrene Psychose, eine schwere seelische Krankheit.

Steffi B. wird daher am 17. August in der psychiatrischen Abteilung der Preetzer Klinik untersucht. Der Psychiater kennt die fünffache Mutter gut. Sie war früher wegen Depressionen bei ihm in Behandlung. Er hält eine Zwangsunterbringung für unnötig. Freiwillig aber will Steffi B. nicht in die Klinik. Sie ist im Stress. Die Familie zieht gerade um von Schellhorn bei Preetz nach Darry.

Steffi B. vereinbart mit dem Psychiater Folgetermine, nimmt sie aber nicht wahr. ASD und SpD wissen das und schalten sich Ende des Monats ein, weil der Kindergarten Alarm schlägt. Bei der häuslichen Versorgung der zwei dort untergebrachten Kinder gibt es Mängel.

Am 29. August wollen ASD und SpD in Darry nach dem Rechten schauen. Es passt der Familie jedoch nicht, weil es der erste Schultag von Jonas ist. Die Sozialarbeiter stehen daher am 5. September wieder vor der Tür. Steffi B. und Michael K. erklären, dass sie mit den Kindern allein zurechtkommen. Die arbeitslosen Eheleute bitten aber um eine Haushaltshilfe.

Auch beim nächsten Hausbesuch, dem vierten und letzten am 1. Oktober, deutet scheinbar nichts auf eine Katastrophe hin. Die Waschmaschine läuft. Steffi B. will gerade Essen kochen. "Der Haushalt war nicht verwahrlost", sagt Landrat Gebel. Und die Kinder?, wird nachgefragt. "Die gehören zum Haushalt dazu." Aus der Schule in Darry, die Justin und Jonas besuchten, habe es beim Kreis keine einzige Beschwerde gegeben. Am 2. Oktober beantragen die Eheleute beim ASD in Lütjenburg Jugendhilfe. Keine Woche später wird ihnen eine Haushaltshilfe bewilligt. Die auch heilpädagogisch ausgebildete Mitarbeiterin - B.s Sohn Liam ist Autist - soll bis Ende November 15 Stunden in Darry helfen und dabei ermitteln, wie stark der Kreis der Familie unter die Arme greifen muss. Am 28. November verabschiedet sich die Mitarbeiterin von Steffi B., empfiehlt dem Kreis, täglich eine Haushaltshilfe nach Darry und das Paar in eine Eheberatung zu schicken.

Sechs Tage lang passiert nichts, dann meldet sich am Dienstag, dem 4. Dezember, der Kindergarten beim ASD. Die Eltern hätten einen Jungen mit Windpocken in die Einrichtung geschickt. Der ASD fordert am selben Tag den Vater auf, mit dem Kind zum Arzt zu gehen. Am Tag darauf, am 5. Dezember, schaut die Betreuerin in Darry vorbei und wird von der Mordkommission empfangen.