Geldmangel ist das eine, das andere die Hoffnungslosigkeit. Wer vier Kinder hat, gilt als unflexibel.

Hamburg. Im Wohnzimmer liegt ein blauer Perserteppich. Er hat Flecken und ist doch ein Schatz. Denn es ist der einzige Teppich, der den braunen Linoleumboden der Vier-Zimmer-Wohnung etwas wärmer macht. Vor einer leeren Wand steht ein blaues Sofa, abgewetzt. Drei Fleece-Kissen in Pink und Gelb liegen darauf, eins links, eins rechts und eins in der Mitte. Frau Qureshi setzt sich in die Mitte des Sofas. Ihr Wohnzimmer und das ihrer vier Kinder ist nicht sehr hell, die Vorhänge sind zugezogen, weil die Wohnung im Erdgeschoss liegt, an einer Straße im Stadtteil St. Georg.

"Jeder Tag ist für uns ein Überlebenskampf", sagt Gisela Qureshi, "aber das ist nichts Besonderes." Frau Qureshi und ihre vier Kinder gehören zur "Unterschicht", sie haben wenig Geld und wenig Aussicht darauf, dass sich ihre Situation irgendwann einmal ändert.

Frau Qureshi ist um die vierzig Jahre alt. Ihr genaues Alter möchte sie nicht nennen, die einzige Eitelkeit, die sie sich leisten kann. Denn sich schön zu machen kostet. Sie ist Arbeitslosengeld-II-Empfängerin. Mit dem Kindergeld stehen ihr und den Kindern 1200 Euro zur Verfügung. Das muss für Lebensmittel, Kleidung, Schulmaterialien, Klassenfahrten, Nebenkosten und alles, was die Familie braucht, reichen. Die Miete bezahlt die Arbeitsgemeinschaft, die in Hamburg Langzeitarbeitslose betreut. Einmal hatte Gisela Qureshi zwei Tage lang kein Geld für etwas zu essen. Sie hatte nur noch ein Kilo Milchreis, das teilte sie durch fünf. Das war's. Andere um Hilfe bitten wollte sie nicht. Ahmet (15), ihr Sohn, sagt: "Ich würde mir gern neue Klamotten kaufen." Dabei schaut er scheu in die Richtung seiner Mutter.

Doch das Geld, das nie ausreicht, ist nur eine Sache. Das andere ist die Hoffnungslosigkeit.

Frau Qureshi möchte arbeiten, aber findet keinen Job. Sie hat 20 Vorstellungsgespräche gehabt und 60 Bewerbungen geschrieben. Sie suchte eine Stelle als Küchenhilfe, als Putzfrau, als Mädchen für alles. Sie hörte dann, dass sie mit vier Kindern nicht flexibel sei. "Das ist deprimierend", sagt sie. Ihr Blick ist gesenkt, dann schaut sie auf. "Was ich mir wirklich wünsche, ist mehr Respekt." Gelernt hat sie Floristin. Bis zu ihrem 30. Lebensjahr arbeitete sie in diesem Beruf, fest angestellt. Dann wurde sie schwanger, und ihr Mann, ein Pakistaner, wollte für das Geld sorgen. Hat er aber nicht. Er war meist arbeitslos und in den letzten Jahren ihrer 17-jährigen Beziehung arbeitsunfähig. Gelebt haben sie von der Sozialhilfe, bis es am 1. Januar 2005 die neue Sozialhilfe Hartz IV gab. Vor drei Monaten hat sie sich von ihm getrennt. Er hat sein Hartz-IV-Geld immer ausgegeben. "Man konnte mit ihm nicht reden", sagt Frau Qureshi. Zum Schluss ließ er seine Aggressionen an den Möbeln und an ihr aus. Eine eingedellte Tür im Flur zeugt davon.

Gegenüber dem blauen Sofa thront auf einer Holzanrichte ein großer Fernseher, darunter ein DVD-Spieler. Im Wohnzimmerschrank, der fast die ganze linke Wand einnimmt, steht eine Musikanlage. Es gibt aber keine CDs. Die Türen des Schrankes sind aus Glas. Dahinter, wo sonst gutes Geschirr, geschliffene Gläser oder Bücher vor Staub geschützt werden, findet sich eine Plastikpuppe, ein Deckchen, eine leere Schale. Die drei Unterhaltungsgeräte sind das einzig Kostbare in der Wohnung. Es gibt keine Lernanreize für die Kinder, keine Bücher, wenig Spielzeug. Nur einen Computer, den sie vor einiger Zeit geschenkt bekamen.

Ihr ältester Sohn Ali (17) ging auf die Sonderschule, jetzt hat er seinen Hauptschulabschluss nachgeholt und macht ein Berufsvorbereitungsjahr. Ahmet geht seit der dritten Klasse auch auf die Sonderschule, genauso Halima (8). Nur Fatima (5) besucht noch die Kita. Selbst wenn sie alle ihren Hauptschulabschluss schaffen - nur rund 30 Prozent aller Hauptschüler finden derzeit einen Ausbildungsplatz. Und ohne Ausbildung folgt Arbeitslosigkeit, folgt Hartz IV. Die Rechnung ist einfach: ohne Bildung kein sozialer Aufstieg.

Über dem Fernseher hängt eine lange bunte Lichterkette. Gisela Qureshi hält die Kleinen umarmt. Dass ihre Kinder auf die Sonderschule gehen, liege an den Umständen. "Ich habe keine Möglichkeiten, sie zu fördern." Nachhilfe kostet Geld. Sie hat sich damit abgefunden. "Aber die Kleine ist plietsch, die geht vielleicht auf eine normale Schule."

Ausflüge macht sie manchmal mit ihnen, aber nur bis zur Mönckebergstraße. U-Bahn-Fahrkarten für längere Touren sind zu teuer. Einmal waren sie zwei Tage am Meer in Travemünde. Das war vor drei Jahren. Halima schwärmt noch davon. Eine Freundin hatte die Familie in ihrem Auto mitgenommen. Urlaub machen sie nicht, also sehen die Kinder nie etwas anderes als St. Georg. Sie wachsen auf zwischen Langer Reihe und Steindamm.

"Wenn die Mädchen ein T-Shirt sehen, kann ich das nicht kaufen. Ich muss immer Nein sagen." Ahmet und Ali möchten in einen Fußball-Verein. Der Mitgliedsbeitrag von fünf bis zehn Euro pro Monat ist zu teuer, genauso wie Fußballschuhe. "Ich schieße gut", sagt Ahmet und lächelt.

Der Mangel an Geld, an Bildung, an Unterhaltung, an Unterstützung ist ihr Alltag. Frau Qureshi fühlt sich von der Gemeinschaft verlassen.

Vormittags, wenn die Kinder weg sind, könnte Frau Qureshi arbeiten. Das wünscht sie sich. Dann sitzt sie in ihrem Wohnzimmer und wartet darauf, dass sie zurückkommen. Und ab und zu raucht sie eine.