Vorbeugendes Lernen statt nachsorgender Arbeitsmarktpolitik. Das fordern alle Parteien.

Berlin. Den Themen Bildung und Ausbildung kommen in der aktuellen "Unterschicht"-Debatte eine zentrale Rolle zu. Gleicher und möglichst früher Bildungszugang wird von Politikern aller Parteien als eines der wichtigsten Instrumente im Kampf gegen die gesellschaftliche Isolation gesehen.

Der Chef der Arbeitsagentur Nord, Jürgen Goecke, fordert deshalb ein Umdenken im Umgang mit jungen Arbeitslosen. "Die Bundesagentur für Arbeit kann nicht auf Dauer der Reparaturbetrieb für Versäumnisse der Elternhäuser und des Bildungsbetriebs sein", sagte er dem Abendblatt. 2006 setzen die Agenturen für Arbeit in den drei nördlichsten Bundesländern Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern insgesamt 272 Millionen Euro für Jugendliche unter 25 Jahren ein (HH: 27 Mio., SH: 83 Mio., MV: 162 Mio. Euro). Die zentralen Angebote sind dabei "berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen", in denen noch nicht "ausbildungsreife" Jugendliche in zehn Monaten mit Praktika und Unterricht auf eine Ausbildung vorbereitet werden, und "außerbetriebliche Ausbildungen" für Jugendliche ohne Lehrstelle.

"Langfristig ist eine Umsteuerung der Mittel in Vorschulen und Schulen sinnvoll", sagt Goecke. "Wir benötigen eine vorsorgende Bildungspolitik, die eine nachsorgende Arbeitsmarktpolitik für Jugendliche überflüssig macht." Die Zahlen illustrieren seine Worte: In den nördlichen drei Bundesländern verlassen im Schnitt zehn Prozent eines Jahrgangs die Schule ohne Abschluss. Derzeit fördert die Arbeitsagentur Nord über 14 000 Jugendliche. In Hamburg allein sind 1300 in der Berufsvorbereitung und 600 in außerbetrieblichen Ausbildungen. Fast 10 000 Jugendliche arbeiten darüber hinaus in den drei Bundesländern in "Ein-Euro-Jobs".

Die FDP verlangte einen Kurswechsel in der Wirtschafts- und Sozialpolitik. Aufgabe des Staates müsse es sein, gleiche Startchancen für alle Kinder zu schaffen, sagte die Familienpolitikerin Ina Lenke. Kindertagesstätten seien als "Reparaturbetrieb" längst überfordert.

Der frühere Bundesarbeitsminister Norbert Blüm (CDU) sieht eine sich verfestigende Armut in Deutschland. Natürlich gebe es eine Unterschicht, sagte Blüm dem "Kölner Stadt-Anzeiger". Mit Blick auf die aktuelle Diskussion unterstrich der Sozialpolitiker, dass Armut sich mittlerweile wieder vererbe.

Unions-Fraktionsgeschäftsführer Norbert Röttgen (CDU) hat derweil eine grundlegende Reform des Sozialstaats gefordert. "Wir brauchen Integration statt Alimentation", sagte Röttgen gestern in Berlin. Wenn es nicht gelinge, die große Zahl von Außenseitern wieder in die Gesellschaft zu integrieren, sei das friedliche Zusammenleben gefährdet. Es sei sinnvoller, eine Beschäftigung in gemeinschaftlichen Diensten zu finanzieren als Nichtbeschäftigung, sagte er.