Richtlinienkompetenz: Wer hat die Macht? Kaum ist die Kanzlerfrage entschieden, wollen Stoiber und Müntefering der künftigen Regierungschefin Fesseln anlegen.

Berlin. Einen Tag, nachdem sich Union und SPD auf die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen und Angela Merkel (CDU) als Kanzlerin geeinigt haben, wird deren künftige Macht bereits in Frage gestellt. Und das auch aus den eigenen Reihen. CSU-Chef Edmund Stoiber sagte, Merkel werde nur eine stark eingeschränkte Richtlinienkompetenz haben. "Es gibt hier kein klassisches Direktionsrecht. Daß der Kanzler die Richtung vorgibt, ist in einer großen Koalition mit gleich starken Partnern nur in sehr dosierter Form möglich", sagte Stoiber. In einer großen Koalition träfen die Partei- und Fraktionschefs die wichtigen Entscheidungen im Koalitionsausschuß.

Der SPD-Vorsitzende Franz Müntefering warnte Merkel davor, Entscheidungen ohne die SPD zu treffen. "Die Anwendung der Richtlinie, die ist nicht lebenswirklich. Wer das macht in einer Koalition, der weiß, daß die Koalition zu Ende ist", sagte er im ZDF. CDU-Generalsekretär Volker Kauder lehnte die Relativierung von Merkels Führungsrolle dagegen ab. Es gälten die Vereinbarungen der Koalitionspartner und die Vorschriften der Verfassung: "Darin steht, daß der Bundeskanzler die Richtlinienkompetenz hat und daß er die Richtlinien der Politik bestimmt." Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Union, Wolfgang Bosbach, sagte dem Abendblatt: "Man kann das Grundgesetz nicht durch eine Koalitionsvereinbarung außer Kraft setzen. Es kann immer wieder zu Situationen und Fragestellungen kommen, die nicht Gegenstand der Koalitionsverhandlungen waren. Dann muß eine Kanzlerin die Möglichkeit haben, Vorgaben zu geben."

Eine Absage erhielt Merkel vom saarländischen Ministerpräsidenten Peter Müller (CDU). Er habe Merkel in einem Telefonat mitgeteilt, er wolle nicht Kabinettsmitglied werden, zitiert ihn die "Welt". Merkel habe ihm das Innenministerium angeboten.

In der SPD wurde erneut die Ablehnung Merkels deutlich. Fraktionsvize Michael Müller sagte im ZDF, er habe "nicht den Eindruck, daß sie es kann". Müntefering warb bei den Mandatsträgern seiner Partei schriftlich um Rückendeckung für die Verhandlungen mit der Union.

Gerhard Schröder (SPD) gab erstmals zu verstehen, daß er der schwarz-roten Regierung nicht angehören wird. Mit Blick auf die Koalitionsgespräche sagte er gestern in Berlin: "Ich werde daran mitarbeiten, daß das gut wird. So verstehe ich die Aufgaben, die man auch dann noch hat, wenn man der nächsten Regierung nicht mehr angehört."