New Orleans: Abendblatt sprach mit Eingeschlossenem: Hunger, Durst und Anarchie - rollt jetzt die große Hilfsaktion an? Umgeben von Wasser und Plünderern, sitzt Burt Callaghan im Dunkeln und wartet auf seine Retter.

Hamburg. Es sind die Nächte, die Burt Callaghan (52) um den Schlaf bringen. Wenn er in seiner Wohnung in der Saint Charles Avenue im Garden District von New Orleans sitzt. Dann hört er nur Wasser plätschern, das seine Straße, seine Stadt überflutet hat, als "Katrina, die so ungeheuer groß war", auf die Südküste von Louisiana prallte. Manchmal hört er auch Bäume oder anderes Treibgut gegen die Hauswände schlagen. Und den Wind, der durch die zerborstenen Fensterscheiben weht. Sehen kann er nichts. Der Strom ist ausgefallen, und Kerzen zündet er nicht an. Aus Angst, Plünderer könnten ihn finden.

Denn in der "lawless area" von New Orleans, dem "gesetzlosen Gebiet", könne er sich nicht auf Hilfe verlassen. "Helikopter und Flugzeuge sind zwar ständig am Himmel, aber hier unten habe ich noch keine Polizei oder Soldaten gesehen", erzählt Callaghan, der als Orchestermusiker in New Orleans lebt. Trotz Stromausfall funktioniert sein Telefon noch. So hat er wenigstens etwas Kontakt zur Außenwelt. Ansonsten sei er total auf sich allein gestellt. "Einmal nur habe ich ein Boot der Küstenwache gesehen. Die konnten mich aber nicht mitnehmen, weil sie zuerst die Plündererbanden jagen und für Ordnung sorgen müssen." Trotz des Chaos in der Stadt sei es gespenstisch still. Keine Menschen, die reden, kein Lärm fahrender Autos, keine bellenden Hunde, keine Musik, keine Nachrichten. Nur das Knattern der Hubschrauber und manchmal leises Gemurmel der umherstreifenden Plünderer.

Zwischen den Trümmern können die "Looters", wie die Plünderer genannt werden, die Beute einfach aufsammeln. "In den überschwemmten Straßen ziehen die Leute Plastiksäcke hinter sich her, vollgestopft mit allem, was nicht niet- und nagelfest ist", sagt Callaghan. Die Polizei und die Nationalgarde kämen aber nicht gegen die Raubzüge an. "Unsere Gouverneurin hat 40 000 Mann Verstärkung innerhalb von drei Tagen versprochen. Truppen kann ich aber nirgendwo sehen."

Die sind mit der Evakuierung der Innenstadt voll ausgelastet. Dabei gehen sie nach dem Schema "Die Schwächsten zuerst" vor. "Aus den Krankenhäusern haben sie die Patienten mit Hubschraubern und Luftkissenbooten geholt", sagt Callaghan. Als nächstes seien die Zehntausende von Menschen dran, die im Superdome und im Convention Center festsitzen. "Die Leute kauern sogar vor dem Superdome, weil sie nicht reingelassen werden. Teilweise im Wasser, nur damit sie bald aus der Stadt kommen." Doch selbst hier sind die bewaffneten Banden das größte Problem. "Die Hardcore-Kriminellen schießen auf die Hubschrauber und Boote, damit die abhauen und sie in Ruhe weiter machen können, was sie wollen." Die Infrastruktur der Polizei und Sicherheitskräfte in der Stadt sei ausgeschaltet. "So was hat es hier noch nie gegeben, die sind überfordert. Aber die Zeit läuft weg." Wie lange er noch, in seinem Apartment eingesperrt, warten muß, weiß er nicht.

Das Trinkwasser wird vielleicht noch zwei Tage reichen. Wenn es verbraucht ist, muß er die Wohnung seiner Nachbarin aufbrechen. Sein Essen besteht aus Dosennahrung, die er sich mit einem kleinen Gaskocher aufwärmt. Fließendes Wasser zum Waschen gibt es nicht. "Mir geht es noch ganz gut, aber mein älterer Nachbar eine Etage tiefer sieht schon angegriffen aus." Vorräte hätten sie ja angelegt, wie bei jeder Hurrikan-Warnung. "Aber diesmal war es einfach zu schnell. Auf einmal war dieser riesige Sturm da, unglaublich. Der Wind hat nach ein paar Sekunden immer die Richtung geändert, ist rumgetanzt und hat alles, wirklich alles, kurz und klein gehauen." Und nun sitze er in seinem Jugendstilhaus von 1880 und wolle einfach nur weg. "Ich hätte nie gedacht, daß ich so etwas wie hier einmal sehen würde. Es ist schon fast zuviel." Darum versucht er, sich nur auf das zu konzentrieren, was gerade anliegt: Essen machen, Wasser abkochen, sich um den Nachbarn kümmern und versuchen, nicht darüber nachzudenken in welcher Lage er gerade ist.

Draußen sei es 36 Grad heiß. Das Wasser sei eine schmierige Brühe, überladen von Müll und Trümmern, die faulig stinke. Abgerissene Stromleitungen hängen ins Wasser. "Ich könnte mich auf den Weg zum Haus einer Bekannten am Stadtrand machen, wo es noch trocken ist", sagt Callaghan. "Aber ich will nicht in diese Kloake steigen." Eine Patrouille der Küstenwache habe ihm gestern gesagt, seine Straße stehe bereits auf der Evakuierungsliste.

Das Wochenende müsse er noch durchhalten und sich vor Krankheit und Plünderern schützen. Tagsüber - und besonders nachts.