NEW ORLEANS. Die Menschen sind nicht mehr sie selbst", sagt Michael Bevis. Scharen verzweifelter und hungriger Menschen flehen um Hilfe, Leichen verrotten auf Bürgersteigen, bewaffnete Banden stören Hilfsbemühungen. Polizisten geben ihre Dienstmarken zurück, um nicht in die Auseinandersetzungen hineingezogen zu werden. Als Retter eine Klinik in New Orleans evakuieren wollen, werden sie von Heckenschützen beschossen.

Plünderungen von Supermärkten sind an der Tagesordnung, mittlerweile toleriert die Polizei Beobachtern zufolge sogar den Diebstahl von Lebensmitteln oder anderen lebenswichtigen Waren. Aber die Räuber wollen mehr, verlassen die Geschäfte zum Beispiel mit Einkaufswagen voller Kleidung. Erschüttert sind die Menschen auch von Berichten über die Vergewaltigung eines 13 Jahre alten Mädchens im Convention Center. Eine Frau erzählte dem Nachrichtensender CNN, dem Mädchen seien beide Fußgelenke gebrochen worden. "Wir gingen zur Polizei und dort wurde uns gesagt, wir hätten die Stadt nun einmal vor dem Sturm verlassen sollen - jetzt müßten wir damit leben."

Der Bürgermeister von New Orleans, Ray Nagin, sandte einen "verzweifelten SOS-Ruf. "Da sind Tausende gestorben und jeden Tag sterben weitere Tausende, und wir können es nicht auf die Reihe bekommen, die Hilfe zu organisieren?Jemand muß sich verdammt noch mal ins Flugzeug setzen und herkommen und diese Fragen auf der Stelle lösen!" rief er.

Dramatische Zustände herrschen auch am Superdome, in dem sich am Donnerstag noch rund 30 000 Menschen aufhielten. Tausende hofften, dort am ehesten Busse für die Evakuierung zu erwischen, am Abend kam es dann zu Ausschreitungen. Im Kongreßzentrum, in dem mehr als 15 000 Menschen nach ihrer Rettung von Dächern und Dachböden untergebracht sind, ging das Essen aus. Die US-Touristin, Debbie Durso, berichtete, sie habe sich an einen Polizisten mit der Bitte um Hilfe gewandt. Er habe geantwortet: "Fahr zur Hölle. Hier ist jeder für sich allein."

Am Mississippi, nur drei Kilometer vom Superdome entfernt, gab es in einer Halle, in der Chemikalien gelagert wurden, eine Explosion. Flammen schossen in den Himmel.

Es gibt auch ermutigende Zeichen von Menschlichkeit. Um sich vor Verbrechern zu schützen, schließen sich Wildfremde zu Gruppen zusammen und teilen ihre spärlichen Vorräte. "Es gibt ja nirgendwo sonst Hilfe", sagt John Fulton, der als Tourist in New Orleans gestrandet ist. Auf seiner Suche nach einem Weg aus der Stadt hat er viele neue Freunde gefunden. Gemeinsam sind sie stärker, hoffen sie. (HA)