Altkanzler Schröder trifft Putin, FDP-Chef Westerwelle ruft im Abendblatt zu einer neuen Energiepolitik auf.

Hamburg/Moskau. In Südosteuropa sitzen Zehntausende Menschen frierend in ihren Wohnungen, in Bosnien begannen Holzfäller, Bäume als Heizmaterial zu fällen, Rumänien und die Slowakei riefen den Notstand aus - dramatische Auswirkungen des eskalierten Gas-Streits zwischen der Ukraine und Russland.

Seit Mittwoch fließt kein Gas mehr durch die Pipelines, die das russische Gas aus Russland durch die Ukraine nach Europa leiten. Normalerweise sind es 80 Prozent des russischen Gases für Europa. Die Lieferungen würden erst wieder aufgenommen, wenn internationale Beobachter an der russisch-ukrainischen Grenze stationiert seien, um die Gaslieferungen zu überprüfen, sagte der russische Regierungschef Wladimir Putin. Er griff damit einen Vorschlag der EU und von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) auf, die mit ihm und der ukrainischen Regierungschefin Julia Timoschenko telefonierte. Heute sind Verhandlungen beider Seiten in Brüssel geplant.

Video: Russland stoppt Gaslieferungen über Ukraine komplett

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Seit dem Morgen waren die Gaslieferungen durch die Ukraine versiegt. Russlands Gasmonopolist Gazprom wirft der Ukraine vor, Gas aus den Transit-Leitungen zu stehlen, und pumpt deswegen seit einigen Tagen schon weniger Gas durch die Pipelines. Kiew bestreitet den Diebstahl, schloss aber, so die Russen, gestern die letzte der vier Leitungen nach Europa. Die Ukraine wiederum behauptete, Russland habe seine Gaslieferungen ganz gestoppt. Das tat Putin nach Angaben der Nachrichtenagentur Interfax offiziell am Nachmittag. In St. Petersburg traf er sich außerdem mit Altkanzler Gerhard Schröder. Beide warben für die geplante Ostseepipeline "Nord Stream". Schröder ist Aufsichtsrat des Unternehmens, an dem Gazprom 51 Prozent hält.

Deutschlands Gasimporteure nutzen inzwischen andere Routen über Weißrussland und die Ukraine. "Deutschlands Wohnzimmer bleiben warm", sagte der Versorger RWE. Auch Bundeswirtschaftsminister Michael Glos versicherte, Deutschland könne mit seinen Gasreserven bei Normaltemperaturen ein Vierteljahr durchhalten.

Das sei nur bedingt beruhigend, weil es im Kern die gewachsene energiepolitische Abhängigkeit Deutschlands von Russland belege, meinte FDP-Chef Guido Westerwelle. Er forderte die Bundesregierung auf, die deutsche Energiepolitik grundsätzlich neu auszurichten. "Wer sich energiepolitisch einseitig abhängig macht, macht sich erpressbar, weil er auch seine wirtschaftliche und außenpolitische Unabhängigkeit aufgibt", sagte Westerwelle dem Hamburger Abendblatt. "Deutschland braucht einen vernünftigen Energie-Mix. Solange wir noch nicht in der Lage sind, mit erneuerbaren Energieträgern einen größeren und belastbareren Beitrag zur Energieversorgung unseres Landes leisten zu können, dürfen wir auf eine Modernisierung und Weiterentwicklung hocheffizienter konventioneller Kraftwerkstechnik nicht verzichten." Dass saubere neue Kohlekraftwerke politisch und bürokratisch "systematisch ausgebremst" würden, sei mindestens so töricht wie der offene Ausstieg aus "der sicheren deutschen Kerntechnik". "Wenn alte Kohlekraftwerke durch neue effizientere Techniken abgelöst werden, ist dies auch ein ökologischer Fortschritt", sagte Westerwelle. Für eine Neuausrichtung der deutschen Energiepolitik sprächen "vier gewichtige Gründe: die Ökonomie, die Ökologie, das Soziale im Hinblick auf die künftige Bezahlbarkeit und die außenpolitische Unabhängigkeit".

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