Israel steht (noch) mehrheitlich hinter der Militäraktion. Doch zahllose Eltern und Geschwister bangen um ihre Söhne und Brüder.

Jerusalem. Mit dem Sonnenuntergang ist der Sabbat zu Ende gegangen, und wie üblich am Sonnabendabend schauen viele Israelis gebannt auf den Fernsehschirm. Doch diesmal beherrschen nicht Satireshows das Programm, an diesem Abend gibt es nur ein Thema: "Sie sind reingegangen!" Auch Sarahs Bruder Dan ist "reingegangen" - mit den israelischen Bodentruppen in den Gazastreifen.

Die Nachricht kam nicht unerwartet, weder für Dan noch für seine Familie. Die sitzt im vornehmen Baka-Viertel im fernen Jerusalem und ist damit sicher vor den Kassam-Raketen der Hamas, aber die Angst um den einzigen Sohn hat Sarahs Eltern seit Tagen nicht schlafen lassen. Dan hat oft mit seiner Familie telefoniert und ihr berichtet, dass seine Truppe ganz genau weiß, was auf sie zukommt. Noch am Silvesterabend hatte Dans Kommandant verkündet: "Es wird Verletzte geben, und einige von euch werden nicht nach Hause kommen!" Und Dan hat am Telefon gesagt, alle in seiner Truppe seien zwar bereit für den Kampf und zuversichtlich, aber sie beteten mehr als je zuvor. Auch Sarahs Freund Jonathan ist als Reservist kurzfristig eingezogen worden. Aber sie sorgt sich mehr um ihren 19-jährigen Bruder. "Jonathan ist ein Mann. Aber Dan ist noch viel zu klein für so was", schluchzt sie.

Es gibt kaum jemanden in Israel, der nicht Verwandte oder Freunde hat, die entweder zurzeit ihren Wehrdienst leisten oder nun ihr Alltagsgeschäft unterbrechen, um dem Raketenterror der Hamas ein Ende zu bereiten. Es kann jeden treffen - den Kollegen aus dem Büro, der eines morgens nicht auftaucht und später per E-Mail mitteilt, dass er vom Armeegeheimdienst eingezogen wurde, um Hamas-Spitzenleute ausfindig zu machen. Oder den Jurastudenten Gabriel (26), der an diesem Abend eigentlich seine Bewerbungsmappe für die Harvard-Universität fertigstellen sollte, sich nun aber darauf vorbereiten muss, seine alte Elite-Einheit bei den Bodentruppen zu verstärken. "Hab gerade meine Mitteilung bekommen", sagte Gabriel gestern Abend. "Morgen Nachmittag, vier Uhr, meine alte Basis. Bin gerade dabei, meine Sachen zu packen."

Und wie geht's der Freundin in Ashdod? Wir hatten schon seit Wochen keinen Kontakt mehr, obwohl die Kassam-Geschosse der Hamas mittlerweile auch die touristenreiche Küstenstadt erreichen. "Gott sei Dank, es ist alles in Ordnung so weit", sagt Deborah. "Wir haben zwar manchmal Schiss, aber es geht eigentlich."

Die neunjährige Amit hingegen ist mit ihren Eltern und ihren zwei jüngeren Geschwistern aus Moschaw Segula zu Freunden im sicheren Kfar Saba geflüchtet. "Ich verstehe nicht, wie die Leute acht Jahre lang in Sderot leben konnten, wo doch dauernd Bomben fallen", sagt Amit. Ihre Großeltern sind in Kiriat Gat geblieben und wollen trotz der Kassam-Einschläge nicht weg.

Noch stehen die meisten voll hinter der Bodenoffensive der Armee und sind froh, dass man endlich etwas tut. Aber wird der Rückhalt in der israelischen Bevölkerung stabil bleiben, wenn in dem Kampf erst eigene Soldaten gefallen sind? Immerhin fühlen sich nach mehr als einer Woche Luftkrieg viele an den Sommer vor zweieinhalb Jahren erinnert, als man sich nach anfänglichen Erfolgen gegen die schiitische Hisbollah-Miliz im Libanon fragen musste, wohin genau dieser Krieg Israel eigentlich führen soll. Die von vielen Israelis als extrem eingestufte Friedensbewegung Schalom Achschaw (Frieden sofort) schaltete bereits am Freitag große Anzeigen, in denen sie ein sofortiges Ende jeglicher Kampfhandlungen fordert. Während die großen Blätter der politischen Mitte noch geradezu euphorisch berichten - "Krieg" steht in großen Lettern auf einer der auflagenstärksten Boulevardzeitungen, und Bilder von Soldaten in Tarnanzügen prangen von jeder Titelseite - , werden die Leitartikel des linksintellektuellen Spektrums zunehmend kritisch. "Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, um von Krieg zu Diplomatie überzugehen", schrieb die "Haaretz" gestern. "Nach einer Woche Luftangriffe dürfen wir es nicht zulassen, dass eine sich vertiefende und langwierige Bodenoperation die Chance eines schnellen Endes des Einsatzes verkompliziert." Auch darin spiegeln sich die Erfahrungen aus dem Libanon.