Unser Dorf: Die Abendblatt-Regionalausgabe geht auf Sommertour. Der Lüneburger Stadtteil Ochtmissen ist die elfte Station.

Ochtmissen. Streng genommen leben die Ochtmisser im Stadtgebiet und sind Lüneburger. Doch eine mehr als 1000 Jahre alte Ortsgeschichte lässt sich nicht einfach so weg verordnen, wie es 1974 mit der Gebietsreform versucht worden war. Ochtmissen verlor damals seine Selbstständigkeit und wurde ein Teil von Lüneburg. Doch das ehrwürdige Rathaus am Marktplatz der alten Salzstadt ist fern. "Lüneburg ist schön. Aber wir sind in erster Linie Ochtmisser", sagt Ortsbürgermeister Jens-Peter Schultz selbstbewusst und spricht den meisten im Ort aus dem Herzen.

Der Stadtteil im Norden bildet auf der Landkarte ein Dreieck mit den Nachbargemeinden Vögelsen und Bardowick. Trotz der Neubaugebiete, die vor allem in den 1980er- und 1990er-Jahren die Einwohnerzahl nach oben schnellen ließ, von 1500 im Jahr 1980 auf zwischenzeitlich 3400 und aktuell 3200, hat der Ort sich seinen ländlichen Charakter erhalten. "Bei uns findet noch echtes Dorfleben statt", sagt Schultz. Immerhin gebe es noch drei Bauern. Und auch das Miteinander ist eher dörflich als städtisch geprägt. Die Ochtmisser pflegen die Vereinskultur und den darüber hinaus bestehenden engen Zusammenhalt und Kontakt miteinander.

"Man kennt sich gut", sagt Andreas Feldmann. Ihn und seine Mitbürger an der Naruto-Straße verbindet über die gute Nachbarschaft hinaus noch mehr. Sie setzen auf die Kraft der Sonne. "Mittlerweile gibt es bei uns in der Straße fünf Solaranlagen auf Hausdächern", sagt er. Feldmann hat 2006 eine Anlage auf sein Dach bauen lassen. "Drei Monate später hatte mein Nachbar auch eine. Das setzte sich als Kettenreaktion fort." Und zwar überall im Ort. "In Ochtmissen gibt es 34 Häuser mit Solaranlagen, die zusammen 150 Kilowatt Strom erzeugen", so Feldmann. Dazu kommen noch ungezählte thermische Anlagen zur Wassererwärmung. "Wir haben gute Dachausrichtungen und keinen hohen Baumbestand", nennt Bürgermeister Schultz, der ebenfalls Strom aus Sonne erzeugt, einen Grund für die Solar-Hochkonjunktur.

Beliebt ist neben der Sonne auch der Sportverein. Mehr als zehn Prozent der Ochtmisser sind Mitglied im Ochtmisser SV (OSV). Vorsitzender Michael Gimball steht 380 Mitgliedern vor. Die Gründung des Vereins fiel in die Zeit des Baubooms. 1983 wurde der OSV ins Leben gerufen und bietet seinen Sportlern inzwischen drei kräftig grüne Rasenplätze als Sportstätten an, auf die manch anderer Verein neidisch ist.

Fußball ist das Leben in Ochtmissen. "Wir haben zehn Jugend- und vier Herrenmannschaften sowie ein Frauenteam", sagt Gimball. Eigentlich könnte der OSV als reiner Fußballklub bezeichnet werden, wenn da nicht eine kleine verschlagene Truppe unter dem Dach des Vereins einer anderen Sportart nachgehen würde. "Wir haben auch eine ganz kleine Bowlingabteilung."

Die Bowler können ihre Kugel jedoch nicht auf dem Sportgelände etwas abseits des Ortes an der Straße nach Vögelsen schieben. Sie müssen in die etwa vier Kilometer entfernte Lüneburger Innenstadt fahren, um die Bowlingbahnen an der Barckhausenstraße nutzen zu können.

Dennoch sind die OSV-Anlagen, die einst mitten im Grünen gebaut wurden, zum Freizeitzentrum des Ortes erwachsen. Direkt neben der Sportgaststätte liegt das Haus der Jugendfeuerwehr, das 2004 gebaut wurde, und bis vor kurzem das einzige in Niedersachsen war.

Hausherr ist Marcel Soetebeer. Er berichtet aus der erfolgreichen Vergangenheit der zweitältesten Jugendwehr im Landkreis Lüneburg, die im kommenden Jahr Jubiläum feiert. Sie wird 50 Jahre alt. In dem halben Jahrhundert wurden viele Erfolge bei Wettkämpfen errungen. Unzählige blank polierte Pokale in Glasvitrinen am Eingang des Hauses zeugen davon.

"Die Freiwillige Feuerwehr wurde aufgelöst, als Ochtmissen ein Teil Lüneburgs wurde. Sie wurde in die Wache-Mitte eingegliedert", berichtet Soetebeer. Die Jugend blieb dem Dorf jedoch treu. "Deshalb sind wir seither die Feuerwehr im Ort." Zu Einsätzen dürfen die Kinder und Jugendlichen nicht ausrücken. Sie werden erst auf die späteren Aufgaben in der aktiven Wehr vorbereitet. Und ab Herbst soll noch mehr Nachwuchs gewonnen werden. "Wir gründen eine Kinderfeuerwehr, bei der Mädchen und Jungen ab sechs Jahren mitmachen dürfen."

In Sichtweite zum Haus der Jugendfeuerwehr steht das Domizil der Schützen. Ein Schmuckstück, das exemplarisch für den Ochtmisser Zusammenhalt steht. "In dem Bau stecken 20 000 Stunden ehrenamtliche Arbeitsleistung der Schützen", sagt Vorstandsmitglied Fanny Eberhardt. Sie gehört nicht nur dem Schützenverein an, der mit seinen 150 Mitgliedern so groß ist wie noch nie in seiner Geschichte. Sie ist auch DRK-Vorsitzende. Das Rote Kreuz hat 142 Mitglieder und kümmert sich um das Wohl der älteren Bürger. "Wir organisieren Seniorennachmittage mit regelmäßig 25 bis 30 Teilnehmern, Vorträge, Tages- und Mehrtagesfahrten", sagt sie. Ständig im Programm sind überdies Veranstaltungen wie "Gymnastik bis ins hohe Alter", "Gedächtnistraining" und "Yoga". "Außerdem veranstalten wir vier Mal im Jahr Blutspenden."

1963 kam Fanny Eberhardt der Liebe wegen nach Ochtmissen. "Das Leben im Ort hat sich verändert. Durch die neuen Baugebiete sind so viele Menschen dazugekommen, dass es nicht mehr so leicht ist, noch jeden zu kennen", sagt sie. Auch die Infrastruktur hat sich verändert. Hier habe es einen Aderlass gegeben. "Früher gab es alle Versorgungsmöglichkeiten im Ort. Wir hatten einen Supermarkt und eine Post." Und eine Sparkassenfiliale, deren Schließung im vergangenen Jahr trotz heftiger Proteste nicht verhindert werden konnte.

Die Sparkasse unterhält nun keine eigenständige Filiale mehr, sondern nur noch einen SB-Terminal, Kontoauszugsdrucker und Geldautomat. "Wir waren sehr frustriert und halten die Ausdünnung des Angebots immer noch für falsch", so Bürgermeister Schultz.

Trotzdem ist es nach der Schließung gelungen, die Kundenberatung im Ort zu behalten. "Jeden Donnerstagnachmittag stehen wir in einem Büro auf dem Gelände der Loewe-Stiftung für Beratungsgespräche zur Verfügung", sagt Zweigstellenleiter Florian Lemke.

Die Loewe-Stiftung prägt den alten Ortskern. "Seit 35 Jahren sind wir in Ochtmissen und fühlen uns wunderbar aufgehoben", so Geschäftsführerin Katja Puhlmann. Die Johann und Erika Loewe-Stiftung wurde 1976 zur Unterstützung und Hilfe von psychisch kranken Menschen gegründet. "Wir betreiben ein Wohnheim mit 72 Plätzen, eine Werkstatt für Behinderte, in der 86 Menschen arbeiten", so die Geschäftsführerin. Außerdem bildet die Stiftung junge Leute mit seelischen Behinderungen in den Berufsbereichen Büro, Tischlerei, Maler, Küche, Bäckerei und Landwirtschaft aus. Hofladen mit Poststation, Hofcafé und Bäckerei gehören ebenfalls zur Einrichtung im Ortskern.

Außerdem betreuen neuerdings zwei Tagesmütter zehn Kinder auf dem Bauernhof der Stiftung. Auch sonst sind die Kinder im Ort gut aufgehoben. An die Kindertagesstätte ist seit 2009 eine Krippe angegliedert, zudem gibt es einen Waldkindergarten. An der Grundschule werden 88 Kinder in vier Klassen unterrichtet. "Wir legen viel Wert auf die Anbindung an das Dorfleben", sagt Schulleiterin Jutta Böttcher. So organisiert die Schule bereits zum achten Mal das Seifenkistenrennen. "Bei der Loewe-Stiftung bewirtschaften die Drittklässler einen Kartoffelacker und der Bürgerverein begleitet die Kinder zum Schwimmen", so Böttcher.

Vorsitzender des Bürgervereins ist Jens-Peter Hecht. Obwohl es vor allem der Verein war, der vehement gegen die Schließung der Sparkassenfiliale kämpfte, sei er kein politisches Sprachrohr. "Die Politik überlassen wir dem Ortsrat", so Hecht. Vielmehr treibe der Bürgerverein mit seinen mehr als 200 Mitgliedern die Gemeinschaft voran. "Wir organisieren unter anderem Müllsammelaktionen, Spieleabende, Laternenumzüge und Stadtführungen", sagt Hecht. Sein großes Ziel ist es, dass Ochtmissen eines Tages einmal im Jahr ein Dorffest feiert.

Eine feste Einrichtung ist hingegen schon das Tiergehege am Kirchsteig, das es seit den 1960er-Jahren gibt und das ein beliebtes Ausflugsziel ist. "An schönen Tagen laufen hunderte Familien durch die Anlage", sagt Bernd Hufenreuter, Vorsitzender des 130 Mitglieder zählenden Fördervereins, der die Tiere ehrenamtlich versorgt. Alpakas, Kamerunschafe, Sikahirsche, Enten, Gänse, Pfauen und Puten leben in dem Gehege, das nur zwei Kilometer von der Lüneburger Innenstadt entfernt ist.