Relikte des vergangenen Reichtums der Region sind die Erlöserkirche mit dem ungewöhnlich gestalteten Verkündigungsaltar von Otto Flath.

Alt Garge. "Als Kind habe ich in Alt Garge meine Schuhe gekauft, war beim Friseur und bin mit den Briefen zur Post gelaufen", sagt Ursula Mellentin (52). Die gebürtige Alt Gargerin erlebte in den 60 und 70 Jahren die Blütezeit des Dorfes, das zu Bleckede gehört. Das war im vergangenen Jahrhundert. Heute ist kaum etwas davon geblieben. Der ehemals florierende Einzelhandel existiert nicht mehr und die einst sprudelnden Steuereinnahmequellen sind versiegt. Doch in Alt Garge entsteht neues Leben - weil die Bewohner sich darum kümmern.

Relikte des vergangenen Reichtums sind die Erlöserkirche, die sich Alt Garge 1957 leistete, eingeschlossen der ungewöhnlich gestaltete Verkündigungsaltar von Otto Flath, einem deutschen Holzbildhauer. In Folge erhielt Alt Garge einen Bahnhof, eine Sporthalle und die Leihbücherei. 1964 wurde das Waldbad in Betrieb genommen. Ausgekleidet mit 64 000 Kacheln, besaß es 28 Unkleidekabinen und war von 15 000 Quadratmeter Rasen umgeben.

Maßgeblich finanziert wurden Ausbau und Dorferneuerung aus Gewerbesteuern der Hamburgischen Electricitäts-Werke (HEW), die in Alt Garge schon 1946 ein Kraftwerk errichtet hatten. "Alt Garge war so reich, dass es dem Landkreis Lüneburg ein zinsgünstiges Darlehn von über eine Million DM geben konnte", weiß Ortvorsteher Dieter Ossenkopp (74). Das Werk zog viele Neubürger an, die sich in Alt Gage niederließen. "Eigentlich sind wir ein Retorten-Dorf - von den HEW nach dem Krieg gebaut", so Ossenkopp. 1974 ging das Kraftwerk vom Netz und Alt Garge musste abspecken.

Seit einigen Jahren allerdings tut sich etwas im Dorf. Schmidts Lädchen hat an der Hauptstraße eröffnet. Der so genannte Infopoint ist der kommunikativste Ort im Ort und Reich der gelernten Hotelfachfrau Cathrin Schmidt. "Die Leute kommen rein und erzählen", sagt sie. Auf wenigen Quadratmetern, aus sieben Kühltruhen und zwei Backöfen zaubert Schmidt weitaus mehr als ein Notversorgungsprogramm für die Alt Garger. "Hier ist kein Tag wie der anderer", sagt die 43-Jährige.

Ob Cathrin Schmidt oder Ursula Mellentin, viele Bürger schätzen an dem kleinen Flecken die himmlische Ruhe und dessen umwerfende Natur. Die außergewöhnlich schöne Lage des Elbdorfes überzeugt viele. Vor einem Jahre eröffnete das Fahrradhotel und Kulturzentrum Plan 1 am Elberadweg im Ort. Ökorestaurant und kulturelle Veranstaltungen locken sogar Publikum aus Hamburg an. Uschi Mellentin gehört zur Geschäftsleitung.

Unübersehbar an der Hauptstraße gelegen ist die Kfz-Meisterwerkstatt von Horst Nowacki. Der 61-Jährige arbeitet dort mittlerweile allein. "Früher hatte ich vier Auszubildenden, heute hilft mir meine Frau", so Nowacki. Dank der fehlenden Konkurrenz, kann er sich über mangelnde Aufträge allerdings nicht beschweren.

"Einst war Alt Garge reich, heute ist es arm", bemerkt Ossenkopp. Anfang der 70er Jahre zogen er gemeinsam mit seiner Frau, einer Sozialpädagogin, ins Dorf. Viele Jahre bewohnten sie mit zwei eigenen und sechs Pflegekindern ein Haus im Albert Schweitzer Kinderdorf am Pfahlberg. Seit Anfang der 60er Jahre besteht die Einrichtung. Sie beherbergt Kinder und Jugendliche, die aus schwerwiegenden Gründen nicht bei ihren Eltern bleiben können.

Die Betreuung der derzeit 70 Kinderdorfkinder erfolgt in 18 Familien. "Wenn es verantwortbar ist, dass ziehen die Kinder zurück zu ihren Eltern", sagt Heimleiter und Sozialpädagoge Dietrich Bangen (53).

Heute bewohnen die Ossenkopps ein Häuschen am Twennenberge. Der Ortsvorsteher versteht sich als der verlängerte Arm des Bleckeder Bürgermeisters. Er kümmert sich um die vielen Kleinigkeiten in dem 1200-Seelen-Ort, "dem schönsten und größten Dorf im Umkreis von Bleckede."

Ohne Förderverein wäre das Waldbad in Alt Garge schon längst verschwunden, weil die Stadt schon vor Jahren eine ausreichende Finanzierung nicht mehr leisten konnte. Ilse Neumann ist Vorstandsmitglied des 2004 gegründeten Vereins. Weil mit Geld nicht alles zu richten ist, steht ehrenamtliches Werken im Mittelpunkt:

"Ehrenamtlich mähen wir die große Rasenfläche, übernehmen den Frühjahrs- und Herbstputz des Bades, pflegen Beete und Anlagen, haben Strandkörbe gesponsert und einen Kiosk geschaffen", so Neumann. Zwischen 2004 und 2009 wurden 3392 Arbeitsstunden geleistet, was einem Geldwert von 50 880 Euro entspricht, bei einem Stundensatz von 15 Euro.

Als direkter Nachbar profitieren die Gäste des 6700 Quadratmeter umfassenden Campingplatzes vom Waldbad. Andrea Rohmann und Peter Heuson führen ihn seit vier Jahren. "Wir bemühen uns, dem Platz, der ziemlich überaltert war, Leben einzuhauchen und wenden uns an junge Familien und Kinder", so Heuson.

Der vielfach ausgezeichnete Platz - Träger des EU-Öko-Labels "EU-Flower" und ausgezeichneter Partnerbetrieb des Unesco-Biosphärenreservats Flusslandschaft Elbe - bietet 250 Übernachtungsplätze. Zum 40-jährigen Bestehen des Platzes vor drei Jahren investierte der ADAC eine Million Euro in den Neubau eines Waschhauses mit behindertengerechten Sanitäranlagen.

Als weitere touristische Attraktion gilt die Draisinenbahn. Sie ist ein lang vergessenes Fortbewegungsmittel auf ehemaligen Eisenbahnschienen. Dreimal täglich darf mit Handhebel und Pedalantrieb auf stillgelegten Gleisen der ehemaligen HEW-Werksbahn gefahren werden.

"Der kleinen ICE" verfügt über elf Draisinen und einen Zwischenwagen. 48 Personen finden darin Platz. Sie treten von Alt Garge aus in Richtung Waldfrieden und zurück. "1500 Besucher zählen wir seit April. Das sind besondere Zahlen für die Region, obwohl wir wenig Unterstützung durch die Stadt Bleckede erfahren", sagt Vereinsvorsitzender Helmut Burmeister (55). Freuen würde er sich über Sponsoren, denn für den Verein stehen Investitionen an. "Für den Winter müssen ein winterfestes Depot bauen", beschreibt Burmeister nur ein Problem.

Ebenfalls nicht auf Rosen gebettet ist die Ortsfeuerwehr. In zwei Jahren feiert sie 60-jähriges Jubiläum. "Wir würden uns freuen, wenn bis dahin unser 58 Jahre altes Haus saniert ist", sagt Feuerwehrmann Hans-Jürgen Radlev.

Die Dämmung des Hauses sei dringend notwendig und auch die Auffahrt zum Haus sei in einem katastrophalen Zustand, so Radlev. Das Nötigste beschafft der Förderverein, wie kürzlich eine Tauchpumpe. "Von der Stadt bekommen wir leider nicht alles, was wir brauchen", sagt Liesel Gaida, Feuerwehrfrau und Vorstandsmitglied des Fördervereins Alt Garger Spritzenleute.

Nicht nur der Feuerwehr, allgemein fehlt es in Alt Garge am Nachwuchs. Dieter Ossenkopp schätzt den Großteil der Bevölkerung auf über 60 Jahre. Die Überalterung ist spürbar.

Eine Grundschule gibt es schon lange nicht mehr. Als sie 1976 ihre Pforten schloss, zog der Kindergarten ein. Derzeit sind 44 Kinder aus Alt Garge und den umliegenden Dörfern angemeldet. "Elf von ihnen bleiben bis 14 Uhr. Ihre Mütter arbeiten halbtags", sagt Leiterin Petra Jasper (42).

Auch sie realisiert, dass in Alt Garge einiges in Bewegung kommt. Die Einrichtung sowie die benachbarte Sporthalle wurden unlängst aufwendig mit Mitteln aus dem Konjunkturprogramm II saniert.

Der demografische Wandel ist in Alt Garge spürbar. Nicht zuletzt deshalb setzt das Dorf auf Betreuung. Wer nicht mehr von der Familie gepflegt werden kann, zieht um in eines von zwei Seniorenheimen. 45 Menschen aus dem Ort und der nahen Umgebung leben im Senioren- und Pflegeheim Elbuferpark, einem gepflegten Familienbetrieb.

"Die älteste Bewohnerin bei uns im Haus wurde 105 Jahre alt", sagt Heimleiterin Sonja Pahl (35). Man lebt eben gerne in Alt Garge.