Unser Dorf: Die Abendblatt-Regionalausgabe geht auf Sommertour. Die siebte Station führt direkt an die Elbe. Sie bedeutet für das Dorf Identifikation.

Artlenburg. Die Elbe zieht die Artlenburger in den Bann. "Mit dem Fluss identifizieren wir uns. Sie ist unser Ding", sagt Gärtner Hermann Burmester. Das Elbdorf und seine Einwohner profitieren von der Lage direkt am Fluss. Die Landschaft sei wunderschön, so Burmester. "Es ist einfach reizvoll, hier zu leben."

Fluss und Landschaft sind das wirtschaftliche Kapital der Gemeinde, sagt Bürgermeister Rolf Twesten. Der Tourismus pulsiert von April bis Oktober. Urlauber haben das Idyll an der Elbe längst für sich entdeckt. Sie reisen mit Wohnmobil und Caravan sowie Sportboot an.

"Wir bieten 110 Plätze auf dem Campingplatz an. An den Wochenenden ist so viel los, dass sämtliche Stellplätze für Wohnmobile besetzt sind", sagt Twesten. Daneben gibt es Übernachtungsmöglichkeiten in Ferienwohnungen und Gasthäusern.

Noch mehr Raum für Besucher bietet der idyllische Hafen, an den unmittelbar der Campingplatz anschließt. Nach Worten des Bürgermeisters ist der Artlenburger der größte Sportboothafen in der Region. "Es gibt 210 Liegeplätze." Gerade erst hat die Gemeinde 360 000 Euro für den Ausbau investiert, bei dem unter anderem weitere Sanitäreinrichtungen und Slipanlagen für Boote entstanden sind. Die Nachfrage nach Liegeplätzen im Hafen steige stetig. "Deshalb müssen wir die Infrastruktur ausbauen und können Gästen nun ausreichend Toiletten und Duschen, Waschmaschinen und Trockner zur Verfügung stellen", so Twesten. Denn das sei bei den Freizeitskippern gefragt.

Das gute Angebot hat sich weit über die Lüneburger Kreisgrenze hinaus herumgesprochen und lockt Gäste aus nah und fern an. "Viele kommen aus England, Dänemark, Norwegen, Finnland und den Niederlanden. Aber auch aus Hamburg, Berlin, Braunschweig, Hildesheim und Wolfsburg", sagen Hafenmeister Helmut Kotlinski und seine Frau Heike.

Sie kümmern sich gemeinsam mit dem Platzwart des Campingplatzes, Thorsten Reißner, darum, dass der Betrieb hinterm Deich im Hafen und auf dem Campingplatz läuft, sich die Besucher in Artlenburg wohlfühlen. "Die Stimmung ist gut. Wir klönen viel mit den Gästen", sagt das Trio, das trotz der Arbeit eigentlich jeden Tag Urlaub macht, wie es einräumt.

Dass die Laune am Hafen gut ist, dazu tragen zwei Originale bei, die echtes maritimes Flair verkörpern: Hafenmeister Kotlinski selbst und Käpt'n Meinhard Lipka, der eine Navigationsschule betreibt. Kotlinski wurde im Hamburger Stadtteil St. Pauli geboren und arbeitete als sogenannter Überführer im Hamburger Hafen. "Ich war Schutenkapitän. Doch den Beruf gibt es heute nicht mehr", sagt er. Nautischer Schiffsoffizier, der auch auf der Afrika-Linie fuhr, war Kapitän Lipka. Als kleiner Schiffsjunge hatte er seine Laufbahn begonnen, bevor er als Offizier über die Weltmeere fuhr. "Aus Afrika haben wir Tiere für Hagenbecks Tierpark mitgebracht: Elefanten, Giraffen, kleine Büffel und Flamingos", sagt er.

Vor 65 Jahren verschlugen den gebürtigen Ostpreußen die Wirren des Zweiten Weltkriegs nach Artlenburg. "Meine Mutti, meine Schwester und ich wurden evakuiert", so der inzwischen 75-Jährige. Zur See fährt er nicht mehr, hat aber längst nicht im Hafen des Ruhestandes festgemacht.

"Seit 25 Jahren gebe ich Unterricht für Aspiranten, die den Sportbootführerschein machen wollen. In diesem Jahr haben schon 24 Teilnehmer die Prüfungen bestanden und ihre Patente für Binnengewässer erhalten", sagt er stolz. In seiner Navigationsschule können Freizeitkapitäne auch die Patente für Küste und See erwerben.

Nicht annähernd so lange in Artlenburg wie der stets und jeden freundlich grüßende Käpt'n Lipka ist Pastorin Uschi Schaefers-Weskott. Seit zwei Jahren hat sie die Pfarrstelle inne. "Ich bin gerne hier, weil die Gemeinde lebendig ist und tolle Arbeitsbedingungen mit motivierten Mitarbeitern bietet", lobt die Pastorin, die zuvor 26 Jahre bei Northeim in Südniedersachsen tätig war. Zu ihrer jetzigen Gemeinde gehören auch Hohnstorf/Elbe und der Tesper Ortsteil Avendorf.

Ihr Arbeitsplatz ist die St. Nikolai-Kirche, die neben der 1833 gebauten Windmühle ein weiteres Wahrzeichen des Ortes ist. Das Gotteshaus sticht durch seinen wuchtigen und weithin in der Elbmarsch sichtbaren Turm hervor, der Teil einer ehemaligen Befestigungsanlage war. Das Turmfundament ist mehr als 1000 Jahre alt. Das klassizistische Kirchenschiff von 1833 wurde 1992 zuletzt renoviert. Die Nikolai-Kirche ist tagsüber geöffnet. "Auch weil wir am Elberadweg liegen und wir den Radfahrern anbieten möchten, die Kirche zu besichtigen und in Ruhe innezuhalten", sagt Uschi Schaefers-Weskott.

Nur einen Katzensprung von der Kirche entfernt werden die jüngsten Artlenburger betreut. Der Kindergarten liegt im historischen Ortskern, 47 Mädchen und Jungen sind in der Obhut von Leiter Christian Blanke und seinem Team. Seit vier Jahren ist er Chef. Bei Kindern und Eltern ist er über Artlenburg hinaus bekannt. Er tritt unter anderem bei Straßen- und Sommerfesten als "Clown Blanko" auf. "Die Kinder im Kindergarten profitieren von meinen Zaubertricks und Jongliereinlagen. Wir haben vielen von ihnen das Einradfahren beigebracht", sagt Blanke.

Das passt ins pädagogische Konzept. "Wir wollen, dass die Kinder über Bewegung lernen, sich selber und ihre Entwicklung zu steuern." Dazu gehöre auch, dass es keine festen Regeln gebe. "Sie entscheiden etwa, in welchem Raum sie spielen oder wann sie essen wollen", sagt er. Das seien zwar neue Wege in der Pädagogik, die anfangs auf Skepsis gestoßen seien, inzwischen jedoch akzeptiert würden. "Die Rückmeldungen aus unserer Grundschule geben uns Recht. Die Kinder sind in der Schule selbstständiger und sozialer als üblich", so der Kindergartenleiter.

Die Grundschule Artlenburg ist einzügig mit durchschnittlich 75 Schülern. Der Unterricht wird von fünf Lehrkräften und einer Lehramtsanwärterin erteilt. Die Betreuung der Kindern aus den ersten beiden Klassen täglich von 12 bis 13 Uhr übernehmen zwei pädagogische Mitarbeiterinnen. Seit August 2006 bietet die Grundschule einen "pädagogischen Mittagstisch" an. Träger dieser Nachmittagsbetreuung ist der Schulförderverein.

Bürgermeister Twesten sagt, die Gemeinde sei jung. "Eine mit der jüngsten Bevölkerung in der Samtgemeinde Scharnebeck." Damit das so bleibt, muss die Gemeinde aktiv werden. Und so sollen auch künftig die unter drei Jahre alten Kinder im Ort ein Betreuungsangebot bekommen. Die Gemeinde baut deshalb zurzeit eine Krippe mit 15 Plätzen. Die Krippe gliedert sich baulich an den Kindergarten an. "Der Betrieb startet am 1. September", so Twesten. Bisher wurden die unter Dreijährigen von Tagesmüttern betreut. Eine von ihnen ist Melanie Köpke, die auch Schützlinge aus den Nachbarorten in Obhut hat, in denen es auch keine Krippe gibt. "Tagesmütter sollen als ein weiteres Standbein bei der Betreuung in Artlenburg erhalten bleiben", sagt der Bürgermeister.

Denn eine gute Kinderbetreuung erhöhe die Attraktivität als Wohnort. Ebenso wie die Nahversorgung, für die seit 16 Jahren Carola Schulz mit ihrem Laden sorgt. Doch die Gemeinde will mehr. "Wir müssen etwas unternehmen und nach vorne schauen, damit sich die Leute jetzt und in Zukunft wohlfühlen." Denn nur dann sei gewährleistet, dass sie auch im Ort wohnen bleiben, junge Menschen dazu kommen und die Gemeinde später nicht überaltert. Und so bemüht sich Artlenburg um einen Investor, der auf einer 11 000 Quadratmeter großen gemeindeeigenen Fläche an der Bundesstraße 209, direkt an der Ortseinfahrt, ein Nahversorgungszentrum errichtet. "Es gab schon Gespräche, doch zu einem positiven Ergebnis haben sie bislang nicht geführt", sagt Rolf Twesten.

"Die Lebensqualität in Artlenburg macht aus, dass im Ort die Mischung aus Alt und Jung stimmt und man sich kennt. Wir leben in einer schönen, überschaubaren und ruhigen Gemeinschaft an der schönen Elbe", fasst Gärtner Hermann Burmester zusammen, was viele empfinden.