Unser Dorf: Die Abendblatt-Regionalausgabe geht auf Sommertour. Die achte Station führt nach Amelinghausen in die Lüneburger Heide.

Amelinghausen. "Wir leben dort, wo andere Urlaub machen." Diesen Satz haben die Amelinghäuser verinnerlicht. Sie wissen, was sie an ihrem Ort haben und pflegen seinen Ruf nach Kräften. Die Touristen danken es und kommen in Scharen - vor allem, um die blühende Heide zu bewundern und die Heidekönigin auf dem Heideblütenfest zu feiern.

Früher, in den 1970ern, übernachteten wenige Gäste in Hotels und Pensionen. Stattdessen quartierten sie sich nahe dem Flüsschen Luhe auf den Campingplätzen "Lopautal" und "Mühlenberg" ein. So wurden aus Zelt-Touristen nicht selten Dauercamper wie Norbert Funke. Aus dem Kurzurlaub mit Freundin und Zelt entwickelte sich ein Langzeitcamping mit Wohnwagen und Kindern. "Morgens bin ich zur Arbeit nach Hamburg gefahren, abends kam ich zurück und nur im Winter zog es uns in die Wohnung nach Uelzen."

Das klappte so lange, bis es der Familie im Wohnwagen zu eng und der Weg zur Toilette auf dem Platz zu mühsam wurde. Den gewünschten Komfort brachte 1984 der Bau eines Eigenheims in Amelinghausen. Schwierigkeiten bei der Integration ins Dorfleben, nein die gab es nicht, versichert der 61-Jährige.

Neubürger sprechen den Bewohnern des Ortes eine authentische Weltoffenheit und Kommunikationsfreudigkeit zu. Und so kamen immer mehr Neubürger hinzu. Von knapp 2000 Einwohnern Anfang der 70er Jahre ist der staatlich anerkannte Erholungsort mit den Ortsteilen Soderstorf und Dehnsen auf rund 4100 Bewohner gewachsen.

"Und die Zahl der Einwohner steigt beständig weiter", sagt Bürgermeister Norbert Thiemann (61). Er spricht von einem gewollten wie kontrollierten Wachstum. Grundstücke werden zu bewusst günstigen Preisen mit weiteren Vergünstigungen für junge Familien voll erschlossen.

"Alles, was für Freizeit und Familie benötigt wird, wie Schule, Kindergarten, Sportanlagen oder ärztliche Versorgung liegt vor der Haustür. Auch das rege Vereinsangebot sowie kulturelle und künstlerische Veranstaltungen helfen, Kontakte zu finden", so Thiemann, der selbst aus Oberhausen stammt und der Liebe wegen in Amelinghausen sesshaft wurde.

Gerade erst haben sich die Fußballvereine der Samtgemeinde zu einem reinen Fußballverein mit Namen FC Heidetal zusammengeschlossen. Im Vordergrund steht der Gedanke, mit dem Breitensport die Schwächeren zu fördern. Daneben sollen talentiertere Fußballer die Möglichkeit bekommen, höherklassig zu spielen, ohne in eine andere Samtgemeinde oder die Kreisstadt abwandern zu müssen.

Amelinghausen wurde erstmals 1293 urkundlich erwähnt. Die Anfänge der Besiedlungen liegen in der jüngeren Steinzeit. Die ersten Menschen in diesem Gebiet waren umherziehende Jäger und Sammler um 15 000 v. Chr. Als ostpommerscher Flüchtling wurde Kurt Bütow 1945 in Ehlbeck bei Amelinghausen aufgenommen.

Der kleine Kurt gehörte zu einer Treckgemeinschaft von 40 Familien. "Hier angekommen mussten wir Flüchtlinge etwas schaffen", so der 1939 geborene Bütow. So eröffnete er im Alter von 26 als Meister seinen ersten Kfz-Betrieb. Ein zweiter steht in Rostock. Mittlerweile ist die zweite Generation der Bütows in Amelinghausen gut im Geschäft.

"Amelinghausen ist meine Heimat", sagt der freundliche Mann, der die Heimat seiner Kindheit nie vergessen hat. Er veranstaltet Reisen nach Pommern und Pommern-Treffen in Schencks Gasthaus. Zu den Heimattreffen reisen Überlebende aus dem Treck von 1945 und deren Nachkommen nach Amelinghausen, um Wiedersehen zu feiern.

Wie es sich für einen Touristen-Ort gehört, ist Amelinghausen gesegnet mit gastronomischen Betrieben. "Allerdings besitzt nur das Gasthaus Fehlhaber einen Tresen, an dem sich herrlich plaudern lässt", so der Bürgermeister. 1936 erwarb die Familie Erler das schmucke Haus im Niedersachsenstil. Gisela Erler (79), eine geborenen Fehlhaber, und ihr Mann Kurt (75) leiten Hotel und Gasthaus: "Wir führen eine Wirtschaft mit einem regen Tresenleben. Es ist die Geselligkeit, die die Gäste zu uns zieht."

Dort widmen sich Bürger der Tresenpolitik frei nach dem Motto "Geh in den Krug, wirst du klug. Geh drumrum, wirst du dumm." Das Haus ist bekannt für seine zahlreichen Stammtische, Heidschnuckespezialitäten und zarten Steaks. Alles in allem ein 24-Stunden-Job für die fleißigen Erlers, für die der Ruhestand bisher kein Thema ist. Die Nachfolge ist noch nicht geregelt.

So wie das Haus ein Stück Geschichte des Ortes widerspiegelt, so ist auch Gisela Erler Teil einer Tradition, für die Amelinghausen weit über die Grenzen hinaus berühmt ist. 1955 war sie Heidekönigin.

"Blond, blauäugig, ganze 23 Jahre jung, so wurde sie vor 4000 Menschen zur Heidekönigin gewählt. Sie ist zu Recht das Urbild einer Tochter dieser Landschaft. Ihr natürlicher Charme hat schon den Gästen in der elterlichen Gastwirtschaft immer gefallen", heißt es in der Chronik des Männerchors Amelinghausen. 1949 beschlossen aus einer Festlaune heraus die Chormitglieder, eine Heidekönigin zu wählen.

Gegen zwölf Konkurrentinnen setzte sich sechs Jahre später die junge Gisela Fehlhaber durch. "Meine Eltern waren nicht begeistert, denn ich wurde im Betrieb gebraucht", erzählt die muntere Gastronomin. Auftritte während des Jahres, dass konnte die junge Frau sich nicht leisten, "obwohl es auch für mich Angebote gab, unseren Ort zu repräsentieren." Die aktuelle Königin Johanna Witthöft (26) hat weitaus mehr königliche Pflichten zu erfüllen.

Sie ist im benachbarten Drögennindorf aufgewachsen, lebt derzeit in Oldendorf/Luhe, arbeitet in Lüneburg und reist am Wochenende durch deutsche Lande, um für den Ort und die Region zu werben. "Heidekönigin zu werden, ist der Traum aller junger Mädchen", weiß die Steuerfachgehilfin. Außer Atem hat sie das arbeitsintensive Königinnenjahr aber nicht gebracht. Mitglieder des Vereins Heideblütenfest Amelinghausen begleiten sie auf jeder Veranstaltung und stehen mit Rat und Tat zur Seite.

Dass neben dem aufwendigen Heideblütenfest kein Schützenverein bestehen kann, versteht sich von selbst. Deshalb ist Friedhelm Krüger (48) vor zehn Jahren in den Schützenverein von Raven-Rolfsen eingetreten und just zum König proklamiert worden. Der "König der Könner" freut sich über sein Amt: "Alle reden darüber, dass niemand mehr Schützenkönig werden will. Hier kommt jetzt ein Amelinghäuser und gewinnt das Hutschießen." Er ist wohl der erste König seiner Art aus Amelinghausen.

Damit auch Großveranstaltungen wie das Heideblütenfest durchgeführt werden können, bedarf es der Unterstützung der örtlichen Feuerwehr. "Ohne uns wäre ein solches Fest nicht möglich. Wir sind in jedem Jahr mit Mann und Maus dabei", sagt Ortsbrandmeister Uwe Meyer (42). Die größte Wehr im Landkreis nach Lüneburg zählt 80 aktive Feuerwehrmänner und -frauen und 42 sogenannte Altersaktive. "Mit einem Altersdurchschnitt von 37 Jahren sind wir eine junge und starke Wehr", so der Ortsbrandmeister, der selbst seit 25 Jahren Mitglied ist. Stolz ist die Wehr auf ihre 24 Mitglieder zählende Kinder- und Jugendfeuerwehr, die Ariane Pallme (32) leitet.

Ebenfalls stark und unübersehbar präsentiert sich das Handwerk. Zünftig nennt es der Bürgermeister Thiemann. Einen von über 40 Betrieben innerhalb der Samtgemeinde führt Tischlermeister Wilfried Faltin (48). 50 Prozent der Arbeitskraft bringen seine Angestellten in Innenausbau und Reparaturarbeiten auf Kreuzfahrtschiffen wie der MS Europa, der MS Columbus oder der Sea Cloud II ein. Der andere Teil der Bau- und Möbeltischlerei geht in die regionale Kundschaft. Über das Miteinander in der örtlichen Handwerkerschaft äußert sich Faltin begeistert: "Wir haben unseren regelmäßigen Stammtisch und arbeiten Hand in Hand."