Die Abendblatt-Regionalausgabe geht auf Sommertour. Die neunte Station führt nach Stiepelse auf die andere Seite der Elbe

Stiepelse. "Unwegsames Gelände!", warnt die Stimme aus dem Navigationsgerät am Ortseingang von Stiepelse. Unwegsam ist die einzige Straße im Dorf nicht, teilweise ist noch das historische Kopfsteinpflaster erhalten. Im 80-Einwohner-Ort wird alles zu Fuß erledigt, wer es bequemer haben möchte, fährt Fahrrad.

"Stiepelse ist die Provence des Nordens", sagt Gastwirt Jürgen Kähler, "der Wetterbericht stimmt hier nie, wie haben fast immer Sonnenschein." Sein Restaurant, Jürgens Räucherkate, liegt in der Mitte der Elbstraße, die - wie gesagt - die einzige Straße ist, und hat die Hausnummer sieben. Das Gebäude beherbergte schon immer eine Gaststätte, dazu auch mal eine Deckstation. "Die Männer sind mit den Stuten nach Stiepelse zum Decken, haben sie vor der Tür angebunden und ihr Bier getrunken. Dann sind sie unverrichteter Dinge nach Hause zu den Frauen, haben gesagt, es habe nicht geklappt und konnten so wieder nach Stiepelse zum Bier trinken fahren", erzählt Jürgen Kähler.

Seit 14 Jahren wohnt er in Stiepelse. Mit dem Sportboot fuhr er von Hamburg aus die Elbe hinunter. "Ich habe angelegt, um mir die Kirche anzuschauen, dann habe ich gesehen, dass ein Restaurant zu verkaufen war, so bin ich hergekommen", sagt er. Eigentlich ist er Erfinder. 1977 hat er die Wärmepumpe erfunden. Die Zeitungsberichte hat er stolz aufgehoben. Mit dem Geld, das er für die Idee bekam, ging er nach Stiepelse und eröffnete die Räucherkate.

Dank der vielen Radfahrer, die auf dem Elberadweg entlang und somit an Stiepelse vorbei radeln, gibt es vier Gaststätten im Dorf. Die nächste ist drei Häuser weiter.

Dahin kommt man bei schönem Wetter mit dem Werk eines weiteren Erfinders: Else die Solarbahn. Ulrich Ottensmeyer, eigentlich Unfallsachverständiger, hat sie erfunden. "Else ist die einzige Solarbahn der Welt", sagt der 64-Jährige. Mit Sonnenlicht lädt sie ihre Batterien auf, ein Elektromotor setzt die Mini-Bahn in Bewegung. "In Hamburg und Berlin war die Solarbahn schon unterwegs", sagt ihr Erfinder. Ganz ohne Emissionen ist man schon in der Pension Lichtblick, Elbstraße zehn, angelangt.

Anfang 1993 hatte deren Besitzer Klaus Karnatz genug von Hamburg und kaufte einen alten Stall. Der wurde über acht Jahre zum Mehrgenerationenhaus umgebaut: Zeitweise waren Karnatz' zu neunt. Platzprobleme gab es in dem großen Gebäude nicht. Als das Haus wieder leerer wurde, entschloss sich der 59-Jährige, einige Zimmer zu vermieten, daraus wurde die Pension. "In der ersten Saison hatten wir fast nur Radfahrer, die kamen in der zweiten Saison mit ihren Familien wieder", sagt er.

Für Radfahrer bietet er Kanutouren an. "Entweder ich fahre die Kanus die Elbe hinauf und nehme deren Räder mit runter oder ich erwarte die Gäste mit ihren Rädern weiter elbabwärts", sagt Karnatz. Außerdem bietet er einen Shuttleservice vom Bahnhof Brahlstorf nach Stiepelse an.

Am anderen Ende des Dorfes - und der Elbstraße - bei Hausnummer 33, liegt das Wiesenhof Café. Auf dem Weg, bei Hausnummer fünf, liegt der neue Italiener namens Strandhaus.

Im Wiesenhof Café trinken einige Radfahrer Kaffee. Doch der Name täuscht, das Café ist eigentlich ein Restaurant. Seit 2001 betreibt es die Familie von Sören Vogt auf ihrem Bauernhof. Viele Zutaten für die Gerichte auf der Speisekarte stammen aus eigener Erzeugung. "Seit sechs Jahren züchten wir eine selten Hausschweinrasse, das bunte Bentheimer Schwein", sagt Sören Vogt. Zwei Säue und zwei Ferkel sind auf der Wiese. Sie haben sich ausgiebig im Schlamm gesuhlt und streiten sich jetzt ums Futter. Im August sollen die nächsten Ferkel kommen. "Jedes Schwein darf bei uns mindestens einmal Geburtstag feiern, bevor es auf den Teller kommt", sagt Vogt.

"Wir sind zwar Bio aber ohne Siegel", sagt der 31-Jährige gelernte Holzmechaniker. Es gebe keinen Kunstdünger oder Spritzmittel, die Tiere seien im Sommer auf der Weide. Im Winter gibt es eigenes Heu und Schrot.

Auch Peter Weitzbrich züchtet eine seltene und alte Rasse. Statt Schweinen haben es ihm jedoch die Pferde angetan - genauer Lewitzer Schecken. Die stehen auf einer Weide neben dem Strandhaus in der Elbstraße fünf. Seine Zucht ist so erfolgreich, dass er im vergangenen Jahr die silberne Tierzüchtermedaille erhalten hat. Zurzeit hat er 17 Lewitzer. Seine drei Fohlen sind schon jetzt erfolgreich: Zwei haben die Vereinsfohlenprämie, eines ist als Verbandsfohlen prämiert. "Das wird später ein Elitefohlen", sagt er. Eines seiner Hengstfohlen ist vor kurzem Elitefohlen geworden. Seit 30 Jahren züchtet der 52-Jährige Pferde, bis 1999 waren es Reitponys. "Eine Farbzucht ist einfach interessanter", sagt er. Außerdem hätten Lewitzer einen tollen Charakter.

Schräg gegenüber der Wiese mit den drei Lewitzer Stuten und ihren Fohlen steht das Dorfhaus. Das alte Fachwerkhaus war einmal die Dorfschule. Als Stiepelse zur DDR gehörte, waren hier der Kindergarten, die Rotkreuzstation und die Altpapier-Sammelstelle untergebracht. Das Haus gehörte damals dem Dorfclub. Der wurde irgendwann aufgelöst. "Dann haben sich einige junge Mütter zusammengefunden, die wollten, dass ihre Kinder im Dorf was erleben", sagt Brigitte Schöber. Die Mütter bildeten eine Initiative. Das Dorfleben bereichern, Alt und Jung zusammen führen und die dörflichen Traditionen erhalten, seien die Ziele gewesen. Dreh- und Angelpunkt war nach wie vor das Dorfhaus.

Das wollte die Gemeinde allerdings 1997 verkaufen. "Wir haben schnell den Dorfverein gegründet, um als juristische Person das Haus zu kaufen", sagt Brigitte Schöber, sie ist die Vorsitzende. Eine symbolische Mark wollte die Gemeinde Amt Neuhaus für das alte Haus. Im Jahr 2000 ging es in den Besitz des Dorfvereins über.

Ehrenamtlich und mit Spenden wurde das Haus wieder instand gesetzt. "Wir hatten nur Plumpsklos im Garten", erinnert sich Brigitte Schöber.

Jetzt organisiert der Verein traditionelle Feste wie das Erntefest, für Kinder gibt es in den Sommerferien ein Programm. Dazu zählt auch der Deichflohmarkt am Sonnabend, 30. Juli.

Das größte Projekt des Dorfvereins ist zurzeit jedoch ein Mehrgenerationenspielplatz. Der soll am Deich entstehen. "Bei so einem Spielplatz muss man jedes Gerät begründen", sagt Schriftführerin Astrid Daetz, die die Planung übernommen hat. "Wir haben uns zum Beispiel für eine Nestschaukel entschieden, denn da kann man genauso ein Baby reinlegen, wie sich ein alter Mensch hinein setzen kann", sagt sie. 25 000 Euro kostet der Spielplatz, der Aufbau soll in Eigenleistung geschafft werden. "Vom Spielplatz würden auch die Kinder der Feriengäste profitieren", sagt Astrid Daetz.

Im September hat sie mit den Planungen begonnen. Die Gemeinde und der Landkreis Lüneburg unterstützen das Projekt finanziell. Nur zu welchen Teilen ist unklar. "Seit Januar hängt unser Projekt im Rat fest", sagt Astrid Daetz. Auf etlichen Gemeinderatssitzungen hätte das Projekt gestanden haben sollen. "Es geht einfach nicht voran", sagt sie resigniert.

Vorankommen ist auch eine Idee von Heiko May. In der Elbstraße drei, ein paar Schritte elbabwärts vom Dorfhaus, tüftelt er an Liegerädern. Dreirädrig, mit und ohne Motor verleiht er sie auch. "Wir haben den Rahmen erfunden, eigentlich für Behinderte, jetzt baut den eine andere Firma", sagt er. Der Zweiradmechanikermeister sieht die Räder als Spaßmobile an. "Auf der Straße ist das zu gefährlich, aber nicht hier auf dem Deich", sagt er. Mit einem Elektromotor käme man sogar bis zu 100 Kilometer weit. Die Stiepelser Elbstraße könnte man damit 100 Mal durchqueren.