Aus den überschwemmten Städten kommen Fäkalien, Krankheitskeime und Treibgut zu uns.

Hamburg. Wer plant, das Hamburger Traumwetter an den Stränden und im Wasser der Unterelbe zu genießen, sollte sich beeilen: "Wenn das Hochwasser kommt, kann ich keinem raten, noch baden zu gehen", sagt Professor Heinrich Reincke, Leiter der Wassergütestelle Elbe mit Sitz in Hamburg. Denn mit den Flutwellen kommen die Keime. In Dresden und anderen überschwemmten Orten fließen die Fäkalien direkt in den Strom - und vermehren sich bei dem warmen Wetter kräftig. Viele kommunalen Kläranlagen sind überflutet und außer Betrieb. Allein der Ausfall der Dresdner Anlage führt dazu, dass die Fäkalien von weit mehr als einer halben Million Menschen ungeklärt in die Elbe fließen, so die Dresdner Stadtentwässerung. Sie wäre schon froh, wenn der Wasserstand so weit sinken würde, dass die Abwässer zumindest kontrolliert eingeleitet werden können. Die Fäkalien bringen Krankheitserreger in den Fluss. Besondere Vorsicht ist auch angesichts des zu erwartenden Treibguts angezeigt. Zumindest für Typhus und Cholera gibt das Berliner Robert-Koch-Institut Entwarnung: Im Gegensatz zu Überschwemmungsgebieten in Afrika und Asien seien die Erreger in Deutschland kaum vorhanden. Hier geht es vor allem um Kolibakterien. Zusätzlich tragen die Fäkalien Nährstoffe in den Fluss, bei deren Abbau Sauerstoff verbraucht wird. Sinkt der Gehalt an Sauerstoff, so droht ein Fischsterben. Reincke: "Die erste Flutwelle hat unsere Messstelle in Schnackenburg, 150 Kilometer oberhalb von Hamburg, erreicht. Bis dort hat sich der Sauerstoffgehalt bereits halbiert." Der aktuelle Gehalt liegt bei vier Milligramm pro Liter, normal ist zwischen acht und zehn Milligramm. Werden drei Milligramm unterschritten, gerät die Fischwelt in lebensgefährliche Atemnot. Diese Gefahr sieht Reincke in der Unterelbe: "Dort herrschen generell kritische Sauerstoff-Verhältnisse, weil der tiefe Wasserkörper eine relativ geringe Oberfläche hat." Heinrich Reincke nahm Freitag Wasserproben bei Dresden und sah aus dem Hubschrauber kilometerlange Ölfahnen auf dem Wasser treiben. Sie werden nicht in Hamburg ankommen, versichert der Gewässerexperte. Die sonnenreichen Tage sorgten dafür, dass ein Großteil des Öls verdunstet und der Rest schnell von Bakterien abgebaut wird. Welche Industrieschadstoffe die Hansestadt erreichen werden, ist dagegen noch unklar - erste Ergebnisse für die bei Dresden und in Tschechien gesammelten Proben erwartet Reincke am Donnerstag. Er ist vorsichtig optimistisch: "Ich glaube nicht, dass wir größere Schadstoffprobleme bekommen. Die Substanzen werden zum einen stark verdünnt, zum anderen sind sie größtenteils an Schwebstoffe gebunden, die sich in den Elbauen bei Dessau und zwischen Magdeburg und Lauenburg ablagern." Die Auen seien ein potenzielles Schadstoffdepot, so Reincke: "Dort wird das Problem akut, wenn das Wasser wieder abfließt und der Schlick zurückbleibt. Der muss dann beprobt werden, da ist mit Sicherheit Vorsicht geboten." Besondere Vorsicht ist auch angesichts des zu erwartenden Treibguts angezeigt. Das gilt weniger für die Berufsschifffahrt, denn die wird ohnehin eingestellt, wenn die Flutwelle kommt. Gefährdet sind eher Schiffe an Stegen, die in den Strom hineinragen. Alle Sportboothäfen seien gewarnt, so Astrid Danowski vom Wasser- und Schifffahrtsamt (WSA) Lauenburg, "wir haben angesichts der erhöhten Strömung und des Treibguts empfohlen, die Boote aus dem Wasser zu holen oder zu sichern". Für die "eigenen" Bauwerke sieht das WSA Lauenburg keine Gefahr: Die Tore der Schleuse Geesthacht seien stabil genug und das seitlich liegende Stauwehr generell mit einer automatischen Kamera bestückt, die den Wasserfluss beobachtet. Dass sich Treibgut am Wehr verklemmt und den Fluss anstaut, hält Danowski für unwahrscheinlich: Die vier Wehrabschnitte seien jeweils 50 Meter breit und ließen auch größerem Sperrgut beim Durchfluss genug Raum. Dennoch hat das WSA Lauenburg Vorsorge getroffen: "Wir halten Schiffe vor, die eingreifen können, falls wir irgendwo Probleme bekommen", so Danowski. Um die Entwicklung der Wasserqualität zu beobachten, starteten Heinrich Reincke und sein Team der Wassergütestelle Elbe gestern ein großes Messprogramm. Die Experten nehmen unter anderem am Wehr Geesthacht täglich Wasserproben. Sie rechnen damit, dass die zweite, größere Flutwelle am Donnerstag am Wehr eintrifft und einige Stunden später das Hamburger Hafengebiet erreicht. 14 Tage später wird sich die Nähr- und Schadstofflast, angetrieben durch den Druck der Hochwasserwelle, ins empfindliche Wattenmeer ergießen - normalerweise braucht das Wasser für diesen Weg doppelt so lang. Die trübe, gelblich-braune Brühe, die elbabwärts Hamburg entgegenschwappt, hält Reincke für einen herben Rückschlag des jahrelangen Genesungsprozesses der Elbe: "Am 14. Juli haben wir mit dem Elbbadetag noch die verbesserte Wasserqualität gefeiert, jetzt ist Trauer angesagt."