Der Ölpreis steigt auf 103 Dollar pro Barrel. Gaddafis Sohn Saif al-Islam warnt vor einem Bürgerkrieg in Libyen. Spekulationen um Gaddafis Flucht.

Tripolis/Brüssel. Die Gewalt in Libyens Hauptstadt Tripolis eskaliert. Nach unbestätigten Klinikangaben starben bei Protesten gegen Staatschef Muammar al-Gaddafi 60 Menschen, wie der Fernsehsender al-Dschasira meldete. Gebäude stehen in Flammen, darunter auch ein Haus des Parlaments. Dabei gibt es Spekulationen um den Verbleib Gaddafis. Der britische Außenminister William Hague sagte, er wisse nichts davon, dass Gaddafi geflohen oder anderweitig außer Landes gereist sei.

Auf dem Grünen Platz in Tripolis hätten sich wieder Tausende Demonstranten versammelt. Nach unterschiedlichen Angaben waren bisher bei den tagelangen Protesten etwa 200 Menschen getötet worden. Oppositionsanhänger brannten in der Nacht zu Montag das Gebäude des Volkskongresses nieder. Nach Augenzeugenberichten soll das Gebäude des staatlichen Fernsehens geplündert worden sein. Die Lage blieb unübersichtlich. Mehrere Volksstämme sollen sich den Gaddafi-Gegnern angeschlossen haben. Ein Gaddafi-Sohn warnte vor einem Bürgerkrieg. Der Staatschef mied weiter die Öffentlichkeit.

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Die Gewalt in Libyen lässt die Ölpreise steigen. Ein Barrel (159 Liter) der Nordseesorte Brent zur April-Lieferung kostete im frühen Handel 103,64 US-Dollar. Das waren 1,12 Dollar mehr als am Freitag. Gaddafis Sohn Saif al-Islam, der als Nachfolger des Präsidenten gehandelt wird, hatte in der Nacht in einer Fernsehansprache vor einem Bürgerkrieg gewarnt. Er sagte, die Führung sei bereit zu Reformen. Sie wolle aber, falls nötig, bis zum letzten Mann kämpfen. Das Parlament, der Allgemeine Volkskongress, sollte am Montag zusammenkommen und über Reformen beraten. Nach Angaben von Einwohnern der Stadt waren bis zum frühen Morgen Schüsse zu hören gewesen. Zahlreiche Polizeistationen der Hauptstadt standen am Morgen in Flammen, wie ein Korrespondent von al-Dschasira berichtete. Nach unbestätigten Meldungen sollen sich die Sicherheitskräfte aus mehreren Städten zurückgezogen haben.

Die Aufständischen, die am vergangenen Mittwoch mit ihren Demonstrationen gegen die Staatsführung begonnen hatten, haben demnach einige Städte weitgehend unter ihre Kontrolle gebracht. Im Osten hätten kriminelle Banden das Machtvakuum für Plünderungen ausgenutzt.

Die britische Regierung hat den libyschen Botschafter in London einbestellt, um ihre „absolute Verurteilung“ der tödlichen Gewalt gegen Demonstranten klarzumachen. „Die Glaubwürdigkeit der Regierung ist beschädigt, weil sie ihre Bürger nicht schützt und auf ihre berechtigten Forderungen nicht eingeht“, sagte Außenminister William Hague auf einem EU-Außenministertreffen in Brüssel. Angesprochen auf Spekulationen, wonach der bedrängte libysche Staatschef Gaddafi sein Land womöglich schon verlassen habe, sagte Hague: „Mir ist nichts über den Aufenthaltsort al Gaddafis bekannt.“ Er habe am Sonntag mit dessen Sohn telefoniert, der sich zu dem Zeitpunkt noch in Libyen aufgehalten habe.

Die EU sollte nach Ansicht des italienischen Außenministers Franco Frattini derzeit von Sanktionen gegen das von Gewalt erschütterte Libyen absehen. „Europa sollte nicht eingreifen“, sagte Frattini in Brüssel. Auf Internetseiten der Oppositionellen hieß, zwei Stämme planten, die Stadt Sebha in Zentrallibyen unter ihre Kontrolle zu bringen. Zuvor hatten Gerüchte die Runde gemacht, dass sich Gaddafi dorthin zurückgezogen haben soll.

Der Flughafen Tripolis war am Montag noch geöffnet. Dem Vernehmen nach bereiteten sich zahlreiche Ausländer auf die Ausreise vor. Westliche Firmen sind vor allem im libyschen Energiesektor sowie im Baugeschäft tätig. Auch etwa 500 Deutsche leben in dem nordafrikanischen Land, darunter auch viele Deutsche mit doppelter Staatsbürgerschaft.

Das Auswärtige Amt in Berlin warnt nun vor Reisen in den Osten des Landes. Auf seiner Internet-Seite empfahl das Ministerium ausdrücklich, Bengasi, die zweitgrößte libysche Stadt, zu meiden. Grundsätzlich wird geraten, von Reisen nach Libyen abzusehen. Allen Deutschen, die sich derzeit noch in dem nordafrikanischen Land aufhalten, wird die Ausreise empfohlen. Eine förmliche Reisewarnung für ganz Libyen gab es aber noch nicht. Als Touristen sind im Land vermutlich nur wenige Bundesbürger unterwegs. Außenminister Guido Westerwelle (FDP) hatte Libyen erst im vergangenen November besucht und dabei auch Machthaber Gaddafi getroffen. Damals fand in Tripolis ein EU/Afrika-Gipfel statt. (dpa/rtr/abendblatt.de)