Die Piloten von Kampfjets desertierten. Sie wollten nicht auf ihre Landsleute schießen. Ein Ex-Berater Gaddafis flehte ihn an: „Nun geh doch endlich.“

Tripolis/Hamburg. Es war ein Fernsehauftritt, der sich für immer und ewig in das Gedächtnis der Libyer einbrennen wird: Der seit 40 Jahren regierende Revolutionsführer Oberst Muammar al-Gaddafi murmelte in ein Mikrofon, da ihm ein Mitarbeiter hielt. Gaddafi saß in einem Auto und hielt einen Regenschirm in die Höhe. Nein, geflohen sei er nicht. Und schon gar nicht nach Venezuela zu seinem Freund Hugo Chavez. Er sei in Tripolis ließ Gaddafi seine Landsleute wissen. Die Aufständischen hatte er am Abend und in der Nacht mutmaßlich bombardieren lassen. Aus Flugzeugen wurde auf Demonstranten geschossen, hieß es nach Augenzeugenberichten. Gaddafis Sohn Saif al-Islam dementierte das. Kein Wort davon in den 22 Sekunden seiner vermutlich weit vorher aufgezeichneten Rede. Weil sie nicht auf ihre Landsleute schießen wollten, sind mindestens zwei Piloten von libyschen Kampfjets desertiert. Sie flogen nach Malta und baten um politisches Asyl.

Hätte es nicht bereits Hunderte Tote gegeben – man hätte die Situation um Libyen und seinen verwirrten Staatschef Gaddafi skurril nennen können. Gaddafi sagte n seiner kurzen Ansprache, er habe mit den Jugendlichen auf dem Grünen Platz in Tripolis reden wollen. Aber dann habe es angefangen zu regnen, zitiert der arabische Sender al-Dschasira ihn. Unterdessen setzen sich immer mehr Verbündete von Gaddafi ab. Nachdem am Montag zahlreiche libysche Diplomaten aus Protest gegen den Einsatz von Gewalt gegen Demonstranten ihren Rücktritt erklärt hatten, sagen sich nun nach Angaben der Opposition auch immer mehr Volksstämme von ihm los

In der Nacht zum Dienstag riet ihm auch sein ehemaliger Vertrauter Nuri al-Mismari dazu, den Kampf gegen die Aufständischen aufzugeben. „Du siehst doch, dass dich das Volk nicht will, nun geh doch endlich“, sagte er im arabischen TV-Sender al-Dschasira. Al-Mismari, der Gaddafi viele Jahre lang wie ein Schatten überall hin begleitet hatte, hatte sich im vergangenen Jahr nach einer „Palastintrige“ nach Frankreich abgesetzt.

Die staatliche libysche Nachrichtenagentur Jana sendet schon seit etlichen Stunden keine Nachrichten mehr. Der Strom der verwackelten Video-Bilder aus Libyen, die Oppositionelle in den vergangenen Tagen ins Netz gestellt hatten, ist weitgehend versiegt, nachdem Telefonverbindungen gekappt worden waren.

Bei dem Versuch, die Proteste niederzuschlagen, hatten Sicherheitskräfte nach Medienberichten allein am Montag mehr als 150 Menschen getötet. In Bengasi sollen etwa 400 Menschen ums Leben gekommen sein. Nachprüfbare Angaben über die Zahl der Todesopfer gibt es nicht. Die Lage in Libyen ruft den Uno-Sicherheitsrat auf den Plan. Das höchste Gremium der Vereinten Nationen kommt an diesem Dienstag zu einer Sitzung hinter verschlossenen Türen zusammen.

Ein Transportflugzeug des österreichischen Bundesheeres flog in der Nacht 62 EU-Bürger aus Libyen aus. Die Maschine ist nach Angaben der Nachrichtenagentur APA mit einigen Stunden Verspätung gegen Mitternacht in Malta gelandet. Von den 62 Passagieren waren neun Österreicher, einige Deutsche, Franzosen und Niederländer. Auch sieben Kinder waren an Bord. Der Abflug hatte sich immer wieder verzögert, da die Passagiere, vorwiegend Geschäftsleute, nicht zum Flugzeug vorgelassen wurden. Zuletzt hatte es aus dem Verteidigungsministerium geheißen, der gesamte Luftraum sei gesperrt.

Mit Material von dpa/AFP