Erstmals äußerte sich der US-Präsident öffentlich zum Aufstand in Libyen. Armeepilot ließ in Bengasi Kampfjet aus Protest abstürzen.

Washington/Tripolis/Berlin. US-Präsident Barack Obama hat die bewaffnete Niederschlagung der Proteste in Libyen und den Befehl, auf Demonstranten zu schießen, als „skandalös“ verurteilt. Die Welt müsse mit einer Stimme sprechen, um die libysche Regierung zur Verantwortung zu ziehen, sagte Obama am Mittwochabend im US-Fernsehen. US-Außenministerin Hillary Clinton werde in seinem Auftrag nach Genf reisen und am Montag an einem Treffen des UN-Menschenrechtsrats zur Lage in Libyen teilnehmen. Außerdem werde sie Gespräche mit den Außenministern verbündeter Länder führen.

Das US-Außenministerium hatte zuvor mitgeteilt, Washington erwäge angesichts der Gewalt in Libyen Strafmaßnahmen gegen die dortige Regierung. Es gebe „eine ganze Reihe von Maßnahmen“, welche die libysche Führung zu einem Ende der Gewalt bewegen könnten, sagte Außenamtssprecher Philip Crowley in Washington. „Dazu zählen auch Sanktionen.“ Die US-Regierung könne solche Maßnahmen bilateral oder in Abstimmung mit anderen Ländern verhängen. Darüber würden in den kommenden Tagen intensive Gespräche mit anderen Regierungen geführt. (afp)

Aus Protest: Kampfpilot lässt Flieger abstürzen

Ein Kampfpilot der libyschen Armee hat laut einem Zeitungsbericht sein Flugzeug abstürzen lassen, weil er auf Regierungsgegner schießen sollte. Der Pilot habe sich geweigert, die Oppositionshochburg Bengasi im Osten des Landes zu bombardieren, berichtete die libysche Zeitung „Kurina“ unter Berufung auf Militärkreise. Der Pilot und der Copilot hätten ihre Schleudersitze ausgelöst und seien mit Fallschirmen gelandet. Das Flugzeug, eine russische Maschine vom Typ Suchoi 22, sei in der Nähe von Adschdabija abgestürzt, 160 Kilometer westlich von Bengasi.

Schon am Montag hatten sich zwei Oberste der libyschen Luftwaffe nach Malta abgesetzt. Auch sie sollten Oppositionelle in Bengasi angreifen. Einer von ihnen beantragte Asyl.

Damit deutsche Staatsbürger so schnell wie möglich Libyen verlassen können, sind Lufthansa und Bundeswehr im Dauereinsatz. Die Lage im Reich von Noch-Diktator Muammar al-Gaddafi wird immer dramatischer. Die Europäische Union berät über Sanktionen, während sich die Flüchtlingslage wegen der Unruhen verschärft und in Tripolis und im Rest des Landes Anarchie herrscht. Am Mittwoch landete ein Airbus der Bundeswehr auf dem Flughafen von Tripolis, wie das Auswärtige Amt mitteilte. Außerdem war eine Sondermaschine der Lufthansa auf dem Weg in die libysche Hauptstadt. Außenminister Guido Westerwelle (FDP) sagte, dass zudem zwei Transall-Maschinen der Bundeswehr bereitstünden. Seinen Angaben zufolge hielten sich noch etwa 100 Deutsche in Tripolis sowie 150 Deutsche im Landesinneren auf.

Am Dienstagabend hatten die Lufthansa und die Bundeswehr rund 350 deutsche und europäische Staatsangehörige ausgeflogen. „Wenn die libysche Führung weiter Gewalt gegen das eigene Volk anwendet, dann sind Sanktionen unvermeidlich“, sagte Westerwelle. Nur eine „klare Politik gegen den menschenverachtenden Kurs“ von Gaddafi könne der Bevölkerung in Libyen helfen. Westerwelle begrüßte, dass sich die Verurteilung der libyschen Führung international immer mehr durchsetze. Die EU berät über das weitere Vorgehen gegen Libyen und Machthaber Gaddafi. Angaben dazu, wie mögliche Sanktionen konkret aussehen könnten, machte die EU nicht. Ein Kommissionssprecher verwies darauf, dass 55 Prozent des libyschen Bruttoinlandsproduktes auf Gaslieferungen nach Europa zurückzuführen seien.

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Nach blutigen Kämpfen mit bis zu 1000 Toten, wie es in jüngsten Berichten am Mittwoch heißt, rechnet Italien mit einem Exodus Zehntausender aus Libyen. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International fordert ein Verfahren gegen Gaddafi vor dem Internationalen Strafgerichtshof. Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn sprach unverhohlen von Genozid – Völkermord. „Was in Libyen geschieht, ist Völkermord in höchster Potenz“, sagte Asselborn im Deutschlandfunk. Gaddafi habe die Menschen gegeneinander aufgehetzt und zum Bürgerkrieg aufgerufen. Asselborn forderte die internationale Gemeinschaft auf, das brutale Vorgehen des libyschen Regimes zu stoppen. Sanktionen reichten nicht aus. Notwendig sei ein Uno-Mandat, um die Menschen zu schützen. Der Deutschlandkorrespondent des arabischen Senders al-Dschasira, Aktham Suliman, warnte vor einem Bürgerkrieg in Libyen.

Die Oppositions-Website „Libya al-Youm“ meldete, Ahmed Gaddaf al-Dam, ein Verwandter von Gaddafi, habe in Ägypten versucht, den Volksstamm der Awlad Ali mit Geld für den Kampf gegen die Aufständischen zu ködern. Der inzwischen vor allem an der ägyptischen Mittelmeerküste und in der Oase Fajjum beheimatete Stamm, der seine Wurzeln in Libyen hat, soll dieses Ansinnen jedoch abgelehnt haben. „Wir sind sehr besorgt, verurteilen die Gewalt und bedauern den Tod Hunderter Menschen“, heißt es in der Erklärung des Weltsicherheitsrats, auf den sich alle 15 Mitgliedstaaten, darunter auch Deutschland, am Abend in New York verständigten. Gaddafi solle dies als „deutliches Signal“ verstehen, dass er für den Schutz seines Volkes verantwortlich sei. US-Außenministerin Hillary Clinton verurteilte das Blutvergießen in Libyen als „völlig inakzeptabel“. Sie sprach sich für „angemessene Schritte“ der Weltgemeinschaft aus, sagte aber nicht, ob dies auch Sanktionen gegen Tripolis beinhalte.

Die Arabische Liga beschloss, Libyen vorläufig von ihren Sitzungen auszuschließen. Das teilte die Organisation nach einer Dringlichkeitssitzung in Kairo mit. Ein für tot erklärter Innenminister von Machthaber Gaddafi hat sich den Aufständischen angeschlossen. Abdulfattah Junis sagte in einem Telefoninterview des Senders al-Arabija, ein Anhänger von Gaddafi habe versucht, ihn zu erschießen. Er sei nun kein Minister mehr, sondern ein Soldat im Dienste des Volkes. Der arabische Fernsehsender al-Dschasira zeigte Bilder von Leichen in einem Krankenhaus in Tripolis sowie Aufnahmen von der libyschen Mittelmeerküste, auf denen zu sehen war, wie Freiwillige Dutzende von Gräbern ausheben.

Die libysche Botschaft in Wien hat sich von der eigenen Regierung in Tripolis distanziert. „Die Botschaft verurteilt die exzessive Gewalt gegen friedliche Demonstranten“, heißt es in einer Mitteilung. Die Botschaft unter Leitung von Ahmed Menesi hält in dem Text fest, „dass sie das libysche Volk vertritt und ihre tiefste Anteilnahme den Familien der Opfer ausdrücken will.“ Die Diplomaten rufen die Weltgemeinschaft auf, „ihrer Pflicht zum Schutz der Zivilbevölkerung nachzugehen und konkrete Maßnahmen zu setzen, um weitere Opfer zu vermeiden.“ (dpa/AFP/dapd)