Wie Andreas Dibowski und sein Pferd Leon in letzter Minute den Sprung zu den Reiterwettbewerben nach Hongkong schafften.

Nindorf. Leon scheint gut und fest geschlafen zu haben. Der Braune wiehert kurz und begrüßt seine Pferdepflegerin, die ihn morgens um sieben Uhr aus der zwölf Quadratmeter großen, mit frischem Heu und Stroh gut ausgestatteten Box holt. Seelenruhig steht der elf Jahre alte Wallach wenig später in der Stallgasse des Pohlmannshofes in Nindorf/Nordheide und lässt geduldig die "Torturen" des Hufschmiedes über sich ergehen.

Heute ist ein besonderer Tag - Leon erhält die Eisen für Olympia. In aller Herrgottsfrühe ist Rene Biella mit seiner mobilen Schmiedewerkstatt in Itzehoe losgefahren. Er packt das Werkzeug aus, schrubbt die Hufe, kratzt sie aus und raspelt das Horn. Dann passt er die mitgebrachten Eisen an. Schließlich hängt von der richtigen Pflege die Gesundheit des Hufes und damit des Pferdes ab, das seinen Reiter in Hongkong zum Gewinn einer olympischen Medaille tragen soll. Der Name des Reiters: Andreas Dibowski.

Es ist 8.15 Uhr, als Leons Herr und Gebieter auf dem Gelände des Hofes eintrifft. Der 42 Jahre alte Vielseitigkeitsreiter, im Hamburger Stadtteil Poppenbüttel aufgewachsen, wohnt mit Ehefrau Susanna (37), Lehrerin an einer Schule in Schneverdingen, und den Kindern Alina (7) und Marvin (4) in Egestorf, einen Katzensprung von Nindorf entfernt. Sein erster Weg führt ihn zum Champion, zu Euroridings Butts Leon. So lautet der komplette Name des Wallachs. Euroridings, Europas führende Einkaufsorganisation im Reitsport ist der Hauptsponsor, Fritz Butt aus der Nähe von Cuxhaven war der inzwischen verstorbene Züchter. Heute gehört Leon je zur Hälfte Butts Witwe Anne-Katrin und Andreas Dibowski.

Der gibt seinem Crack einen liebevollen Klaps auf das Hinterteil und führt ihn hinaus auf den Hof. Gerade ist Carsten Rohde, der Mannschaftstierarzt der deutschen Olympiareiter eingetroffen. Er lässt sich Leon vorführen, untersucht ihn und hört mit dem Stethoskop seine Herztöne ab. "Der Wallach ist kerngesund", sagt er wenig später. Zwei Tage später geht es zur Quarantäne nach Warendorf.

In der Zentrale der deutschen Reiterei werden die wertvollen Vierbeiner unter strengen Sicherheitsbestimmungen abgeschottet. Sie werden entwurmt, geimpft, und sie dürfen wegen der Ansteckungsgefahr außer mit ihren Pflegern (bei Leon ist es Susanna Dibowski) keinen Kontakt zur Außenwelt haben, ehe am 26. Juli über Amsterdam der Flug nach Hongkong ansteht.

Eigentlich wäre Andreas Dibowski gar nicht dabei gewesen. Er hatte beim vorletzten Test vor einigen Wochen in Luhmühlen nur den zehnten Platz belegt und damit das Ticket verpasst. Bundestrainer Hans Melzer hatte ihn als ersten Ersatzreiter für den Fall nominiert, dass sich eines der fünf nominierten Pferde während der Quarantäne verletzen oder ein Reiter erkranken würde.

Genau das ist passiert: Bettina Hoys Spitzenpferd Ringwood Coccatoo zog sich in Aachen einen Bluterguss am Sitzbeinhöcker zu. Seine unglückliche Reiterin verzichtete freiwillig auf Hongkong. Das erneute Pech der bei den Spielen in Athen durch eine zweifelhafte Schiedsgerichtsentscheidung um Gold im Einzel und Team gebrachten Hoy war das Glück für Andreas Dibowski. "Wir sind dabei!" schrieb er am gleichen Tag auf seiner Homepage. "Diese nüchternen Worte geben nicht im Geringsten den Gemütszustand wieder, in dem ich mich befinde."

Wo liegen Leons Stärken, wo seine Schwächen? "Zu 99 Prozent ist er ein Vollblüter, er verfügt über ein enormes Galoppiervermögen, das ihm im Gelände zugute kommt", sagt der ausgebildete Pferdewirtschaftsmeister. "Er ist auch ein zuverlässiges Springpferd. Die Dressur ist seine Wackeldisziplin, da fehlt ihm die Geschmeidigkeit."

Das Abenteuer Hongkong soll endlich die ersehnte olympische Medaille bringen. In Sydney und Athen hatte es jeweils "nur" zu Platz vier mit der Mannschaft gereicht. "Nie werde ich den Tag vergessen, als wir unsere Goldmedaille am grünen Tisch verloren", sagt er. Hongkong war seither das große Ziel, das der ehemalige Weltranglistenerste nun doch noch erreichte. Wegen Bettina Hoys Missgeschick könne er sich darüber aber nur eingeschränkt freuen.


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