Warum Ruderin Berit Carow einen Start in China eigentlich schon abgeschrieben hatte und nun als Goldhoffnung gilt.

Hamburg. Selbst wer allein in die Ferne schweift, hat in der Regel einen Begleiter dabei. Ein Reiseführer, kompakt im Handtaschenformat, kommt mit auf große Fahrt. Berit Carow hielt vor zwei Jahren ein solch nützliches Exemplar mit Informationen über die chinesische Hauptstadt Peking in der Hand. Ein Geschenk an erfolgreiche Ruderer bei den Weltmeisterschaften im britischen Eton.

Die heute 27-Jährige hatte Silber im Leichtgewichtseiner gewonnen, einer der nicht-olympischen Klassen. Für den Zweier, das Boot für Peking, war sie von Bundestrainerin Jutta Lau trotz guter Vorleistungen nicht berücksichtigt worden. "Damals habe ich mich gefragt, wie gut ich eigentlich sein muss, um da rein zu kommen", erinnert sich die in Neumünster aufgewachsene RG-Hansa-Athletin, überlegt einen Moment und äußert dann wohldurchdachte Kritik: "Manchmal spielen auch politische Gründe eine Rolle, und dann kann man sich auf den Kopf stellen und schafft es nicht."

Vermeintlich chancenlos, entschied sie sich, ihre sportliche Karriere für ein Studium in Stockholm zurückzustellen, der Peking-Führer flog "in irgendeine Ecke". Am berühmten Karolinska Institut (vergibt die Nobelpreise im Bereich Medizin) beschäftigte sich die Biochemikerin für ihre Doktorarbeit fortan im Bereich Immunologie mit Mitteln gegen HIV und Tuberkulose. "Dass ich nach Schweden gegangen bin, war eigentlich mehr ein Zufall", erzählt Carow. "Aber es hat mir dort von Anfang an gefallen. Stockholm hat einen ähnlichen Charme wie Hamburg. Man ist außerdem schnell in der Natur. Das ist dann wie in einem Pippi-Langstrumpf-Film."

Vom Rudern konnte und wollte sie trotz ihres neuen Lebens aber doch nicht lassen. Dreimal in der Woche, in aller Frühe, und am Wochenende ging es beim örtlichen Polizeisportverein aufs Wasser. Als sich Carow dann bei den deutschen Ausscheidungen zur WM 2007 in München überraschend einen Platz im Zweier sicherte, war Peking plötzlich doch wieder ein Thema. "Danach war dann eine Entscheidung gefragt, die mich ein paar Wochen geplagt hat", sagt die 1,71 m große und 57 kg schwere Athletin. Vollzeitrudern und die wissenschaftliche Arbeit hätten sich nicht miteinander vereinbaren lassen, darin war sich Carow mit ihrem Chef in Stockholm einig. Am Ende fiel die Wahl auf den Sport und die Olympiachance. "Ich wollte mich nicht später ärgern, dass ich es nicht versucht habe", sagt die stets freundlich wirkende Blondine mit einem Lächeln auf den Lippen.

Seit dem vergangenen Sommer tut sie nun mit ihrer Teamkollegin Marie-Louise Dräger alles für das große Ziel. Bei der WM in München sprang ihr bislang größter Erfolg mit einer Bronzemedaille heraus. Die meiste Zeit verbrachte das Erfolgs-Duo seither in Rostock, dem Heimatort von Carows Mitstreiterin und Chefin im Boot. Zwölf bis 14 Übungseinheiten pro Woche standen an, hinzu kamen etliche Trainingslager, so wie seit Anfang Juli bis gestern in der Höhe von St. Moritz.

Trotz aller Anstrengungen und dem Leistungsdruck habe sie ihre Entscheidung bis auf kurze Momente nicht bereut, meint Carow. Olympia habe sie schließlich schon immer fasziniert, allerdings stets als Außenstehende vor dem Fernseher. "Mich selbst hatte ich dort eigentlich nie gesehen", sagt die Hobby-Skifahrerin. Ihr Ticket endgültig sicher hatten Dräger und Carow spätestens seit ihrem Triumph beim Weltcup im Mai in München. Und wenig später begann die Suche nach dem verschollenen Reiseführer. Aufgetaucht ist er bis heute nicht. "Ich musste mir tatsächlich einen neuen kaufen", sagt Carow.

Und den will sie auch nutzen. Die Ruderwettkämpfe stehen in der ersten Olympiawoche an. Anschließend möchte Carow so lange es geht in Peking bleiben, auch um sich andere Wettkämpfe anzuschauen, wie die Spiele der deutschen Hockeymannschaften. Zuvor soll allerdings eine Medaille her. "Auf dieses Ziel haben wir uns im Boot geeinigt" sagt Carow. Nach dem Gewinn des Gesamtweltcups dürfen sich die startschnellen und kämpferisch starken Norddeutschen sogar Hoffnung machen, ganz oben auf dem Treppchen zu stehen.

Nach den Olympischen Spielen möchte Berit Carow nach Stockholm zurückkehren, um sich wieder auf ihre Doktorarbeit zu konzentrieren. Zudem wartet in Schweden Freund Lars. Das Rudern wird in jedem Fall wieder in den Hintergrund geraten. Und auch den Peking-Führer braucht sie dann nicht mehr. Allerdings dürfte er zumindest bei erfolgreichen Spielen als Erinnerung einen Ehrenplatz im Regal erhalten und nicht vermeintlich nutzlos im Nirwana verschwinden wie sein Vorgänger.