Wo die Abenteurer der Lüfte am Ende der Tour landen, ist ungewiss. Manchmal muss sogar ein Hubschrauber die Rückholung besorgen.

High Noon auf dem Obersee. Es ist kurz vor zwölf Uhr mittags auf dem zugefrorenen und tief verschneiten Gebirgssee mitten in Arosa. Unbeeindruckt ziehen einige Langläufer in der Loipe ihre Spur, aber es gehört schon eine ordentliche Portion Gemütsruhe dazu, jetzt nicht stehen zu bleiben und das Spektakel zu verfolgen. Eine ganze Armada von Geländewagen mit Anhängern ist auf das Eis gefahren. Dutzende von Helfern zerren an riesigen bunten Seidenhüllen, rücken dröhnende Ventilatoren zurecht, um Luft hineinzupusten. "Wir haben heute 15 Ballonteams und ein Heißluft-Luftschiff am Start", sagt Pepe Meissner, Organisator der Alpinen Ballonwoche im Schweizer Wintersportort in Graubünden. "Das Wetter ist ideal: klar und kaum Wind", verkündet er. Dutzende von Ballonteams aus Deutschland und der Schweiz sind im Januar und Februar quer durch die Alpen unterwegs, um an den neuerdings allgegenwärtigen Ballonfestivals teilzunehmen. "Hier in Arosa treffen sich die Ballonfahrer schon seit 1991, früher war's im Sommer, jetzt kommen sie im Winter", weiß Pepe Meissner.

Die Wintermonate sind in den Alpen die Hauptsaison, der Ort ist voller Skifahrer und Wanderer, für die die Ballons eine willkommene Attraktion sind. Auch mitfahren kann man gegen eine Gebühr von hundert bis zweihundert Euro. Das Dabeisein lohnt sich in der kalten Jahreszeit besonders, nicht nur wegen des oft klareren Wetters. "Im Winter können wir mit derselben Menge an Propangas weiter und länger fahren", erklärt Ballonfahrer Jürgen Rambach aus Landshut, der gerade die knallgelbe Hülle seines Luftgefährts füllt, "denn um diese Jahreszeit ist die Außenluft natürlich kälter, der Ballon steigt mit weniger Energieaufwand." Hier lernen Laien schon mal die wichtigste Sprachlektion: Ballons werden gefahren, nicht geflogen, da sind die Betreiber empfindlich. Und im Gegensatz zum Sommer, wo wegen der Thermik Ballons nur kurz nach Sonnenaufgang oder vor Einbruch der Dunkelheit aufsteigen, fahren sie im Winter mittags.

Inzwischen ragen vom Obersee ein gutes Dutzend riesiger, prallgefüllter Ballonhüllen in den tiefblauen Himmel. Da gibt es alle Gestaltungsvarianten von der profanen Bierwerbung für den Sponsor des teuren Hobbys bis hin zu künstlerischen Entwürfen im historisierenden gold-blauen Design oder mit Blumenmotiven auf silbernem Untergrund. "Normalerweise wiegt eine Hülle so 120 bis 150 Kilo", sagt Jürgen Rambach, "aber solche Kunstwerke bringen schnell 200 Kilo auf die Waage." Allein die Vielfalt ist eine Augenweide.

"Wir können gleich starten", ruft jetzt Arnold Hampi. Der Schweizer mit dem markanten Zwirbelbart stellt den Ventilator ab. Jetzt faucht noch mal eine Stichflamme aus einem der beiden Brenner, die 3000 Kubikmeter Luft in der gelben Riesenwurst müssen auf über hundert Grad Celsius erhitzt bleiben, damit Auftrieb entsteht. Noch allerdings hält ein kräftiger Helfer die Halteleine am Bug fest, damit das wulstige Gebilde nicht vorzeitig abhebt. Hampi tritt in Arosa mit dem ungewöhnlichsten Fluggerät auf, einer Art Zwitter aus Ballon und Gas-Luftschiff wie der moderne deutsche Zeppelin NT. "Auch unser Viersitzer kommt aus Deutschland, bisher gibt es davon gerade mal 40 Stück weltweit", erklärt der Pilot. Er und ein Kollege haben sich auf den vorderen Sitzen der kleinen Gondel mit ihren putzigen Go-Kart-Rädern festgeschnallt, ein Mann von der Bodencrew hilft den beiden Passagieren auf den hinteren Sitz. Arnold Hampi reckt den linken Daumen nach oben, klar zum Start. Der Propeller des 65-PS-Rotax-Motors hinter der Gondel surrt leise, fast unmerklich löst sich das Luftschiff vom Boden, so behutsam wie in einer Sänfte steigen die vier Insassen langsam Meter um Meter über den Obersee, auf dem sich die anderen Ballonteams ebenfalls zum Abheben anschicken.

Hampi betätigt die v-förmig angeordneten Brenner alle paar Minuten abwechselnd per Fußpedal, um die Luft gezielt im vorderen und hinteren Teil der 41 Meter langen und fast 13 Meter breiten Hülle auf Temperatur zu halten. Die Passagiere möchten Fotos vom Bergpanorama machen, vom 2447 Meter hohen Brüggerhorn und den an seinen Flanken zu Tal sausenden Skifahrern. Dazu hält Arnold Hampi einfach in der Luft an: "Wenn kein Wind ist, können wir auf der Stelle stehen bleiben", sagt er.

Auch Jürgen Rambach ist inzwischen startklar und lässt die vier Mitfahrer in die enge Gondel klettern, die aus Korbgeflecht besteht und die mit allen wichtigen Geräten wie Höhenmesser, Funkgerät und Satellitennavigation bestückt ist. "Wir haben keinen Sauerstoff an Bord und können daher nur 3500 Meter hoch aufsteigen, anderthalb Stunden dauert unsere Fahrt maximal mit dem Gasvorrat", so Rambach. Entscheidend ist natürlich, welche Thermik, welche Aufwinde der Ballon erwischt, um in die begehrten Höhen zu gelangen. Einige Kollegen, die zuvor gestartet sind, stehen schon hoch am Himmel. "Da hinten über dem Wald bildet sich jetzt Auftrieb, den wollen wir nutzen", erklärt der Ballonpilot, "mittags ist es ideal, später wird es ruppig in der Thermik, weil dann die Hänge verschieden warm sind." Behutsam hebt sich der Gigant, fröhlich winken die Mitfahrer aus der Gondel. Ein wunderbares Gefühl, dieses lautlose Schweben dort oben, es ist zudem für die Bestzung windstill, da der Ballon ja mit dem Wind unterwegs ist. Doch der macht sich heute rar. Nur sehr verhalten geht es voran, der Auftrieb scheint so gering, dass der gelbe Ballon nur knapp die Baumwipfel verfehlt. Irgendwann ist der Wald überwunden und es bietet sich ein grandioser Ausblick auf die Mittelstation und die anderen Ballons, von denen einige in uneinholbare Höhen entrückt scheinen, während andere fast am Boden kleben. "Wir Flachlandtiroler bleiben lieber im Talkessel", verkündet der Pilot irgendwann, und die Hoffnung der Passagiere auf eine aufregende Alpenüberquerung löst sich in Luft auf.

Was folgt ist eine eher unrühmliche Landung. Unter den mitleidigen Blicken der Wanderer, die auf viel höher gelegenen Wegen bergauf kraxeln, verfehlt der Korb knapp einen Kuhstall, bevor er die Passagiere über ein Tiefschneefeld schleift. Die Rückkehr von glorreichen Abenteurern der Lüfte zur Erde sieht wahrlich anders aus. Dafür hat der Pilot eine Sorge weniger - nämlich die, wie sein Ballon wieder auf den Anhänger kommt, kann der hier doch gleich gut vorfahren. "Im Skigebiet arbeiten wir beim Einsammeln der Ballons mit Pistenraupen, sonst schnallen wir einfach alte Snowboards unter den Korb", erklärt Pepe Meissner. Manchmal allerdings muss eigens ein Hubschrauber zur Rückholung ausrücken. "Dafür zahlen dann alle Ballonteams aus einer gemeinsamen Kasse", verrät Meissner. Vielleicht, so machen sich die verhinderten Himmelsstürmer aus der Gondel anschließend beim Glühwein Hoffnung, ist ihnen ja das nächste Mal ein wenig mehr Ballon-Abenteuer vergönnt.