Appenzeller Land: Inbegriff der Bilderbuch-Schweiz, wo schon die Landschaft ungemein beruhigend ist.

Einmal lächeln mit einem Büschel Bergwiesengras im Maulwinkel. Cool! Einmal den Kopf so drehen, dass man die hübsche Glocke gut sehen kann. Einmal zur anderen Seite. Die Kühe hier sind Profis in ihrem Job. Sie wissen, was Menschen wollen, die ihr Auto plötzlich in einer Haarnadelkurve an den Rand einer steilen Bergwiese steuern, herausspringen, sich unvermittelt einen schwarzen Kasten vors Gesicht halten und mit Blick auf die Kuh in die Hocke gehen.

Im Appenzeller Land stehen die Rinder Porträt wie Models - ein bisschen genervt, aber doch freundlich und mit der richtigen Mimik. Klick.

Die Rindviecher stehen ein paar Dutzend Mal am Tag Modell. Nur wenn eine von ihnen lila daherkäme, wäre der Andrang noch größer. Und Übung haben sie, weil sie jeden Herbst bei Viehschauen bunt geschmückt auf den Laufsteg müssen: Miss-Kuh- und Mister-Stier-Wahl in Appenzell.

Wahrscheinlich sind die Tiere so sanftmütig, weil die Landschaft hier im Nordostzipfel der Schweiz so beruhigend wirkt wie die Tapete in einem Wellness-Wartezimmer: wiesengrün, waldgrün, felsgrau, himmel- blau, die Berge sanft gewellt, langsam ansteigend, von Blumen gesprenkelt. Eine Gegend, die Geborgenheit vermittelt. Nur 416 Quadratkilometer misst das Appenzeller Land - fast exakt so viel wie das Gebiet des Stadtstaats Bremen. 68 000 Einwohner bevölkern die Region, und etwa 3000 davon erscheinen jeden letzten Sonntag im April auf dem Landsgemeindeplatz im Zentrum von Appenzell-Stadt, um unter freiem Himmel nach altem Brauch ihre Regierung und ihre Richter zu wählen, um Gesetze zu beschließen und anschließend gemeinsam zu feiern. Entschieden wird durch Handzeichen. Seit 1991 dürfen sogar Frauen mitbestimmen: "Bis dahin hatten wir das Wahlrecht nur an der Käsetheke und durften entscheiden, ob es der herzhafte oder der milde Appenzeller sein sollte", sagt die Kellnerin auf der Cafe-Terrasse am Landsgemeindeplatz. Ob sich seitdem viel geändert hat? Sie ziehe immer noch den herzhaften Käse vor, lacht sie wieder und zwinkert mit den Augen.

An den Scheunentoren kleben in den Wochen vor der Landsgemeinde Plakate mit klaren Positionen: "Nein" zu diesem, "Ja" zu jenem. In Deutschland werden stattdessen nur mäßig Vertrauen erweckende Politiker-Köpfe und Worthülsen plakatiert. Zum Wahlkampf mit klaren Sachaussagen hat bei uns kaum noch einer den Mut. Er könnte ja hinterher beim Wort genommen werden.

Appenzell mit seinen reich verzierten Häusern, mit bunt getünchten Fassaden scheint für Ausländer von weither so etwas wie der Inbegriff der Bilderbuch-Schweiz zu sein. Vor allem Japaner und Koreaner kommen gern, um mit Begeisterung schweizerisch zu tun. Sie pusten in riesige Alphörner, freuen sich an Kuhglockenkonzerten und tunken ihre Nahrung in heißen Schmelzkäse. Für die Freunde zu Hause kaufen sie auf, was irgendwie schweizerisch ist. Davon profitieren auch die Uhrmacher. In einem Schaufenster ist einer der edlen Chronographen stehen geblieben: "Daas maacht nijchts", sagt der Appenzeller Feinmechaniker, "äs iist die teuerrste Uhrr, abrr zweijmaol am Taog geht zie trrotzdem rrijchtik." Der Mann hat Recht - und Humor.

Sogar die Kuh für zu Hause gibt es, zum Mitnehmen vom Wühltisch, dutzendweise im Souvenir-Shop an der Fußgängerzone der Kantonshauptstadt Appenzell: Wahlweise braun oder schwarz-weiß ist sie, aus Plüsch, steckt im roten Schweiz-Shirt mit weißem Kreuz. Alternativ sind Socken mit Edelweiß-Motiven zu haben; drei Paar 15 Franken. Hässlich, aber billig.

In Sichtweite der Pfarrkirche St. Mauritius mitten im Zentrum von Appenzell-Stadt sind wieder die geduldigen Models unterwegs: weidende Kühe auf einer Stadtwiese. Sie sind das Posieren so gewohnt wie ihre Artgenossen an den Landstraßen. Manche von ihnen haben es besonders gut, sofern sie Magdalena und Sepp Dähler gehören. Das Bauernehepaar hat so etwas wie ein Wellnessprogramm für Kühe erfunden und massiert die Rinder zweimal täglich mit Rapsöl und Bierhefe - weniger aus Tierliebe, sondern damit das Fleisch ganz besonders zart wird und einen typischen Eigengeschmack bekommt. Auf den Speisekarten der regionalen Restaurants taucht die Spezialität dann später als Kalbsbierfilet auf.

Angeblich hat das Appenzeller Land die größte Restaurantdichte Europas. Nachweislich überproportional hoch jedenfalls ist hier die Zahl der Sterne laut Feinschmeckerbibel Guide Michelin - und die der Landgasthöfe irgendwo am Ende der Straße, wo hinterm Haus die Wildnis beginnt: Meistens fließt an der Rückseite der Winter vorbei. In rauschenden Gebirgsbächen plätschert viel Schmelzwasser talwärts. Genau der passende Klang zur Wellness-Tapete.

Jeden Sonntagvormittag klingt Appenzell anders: Dann spielen Blaskapellen auf der Schwägalp in 1278 Meter Höhe, und hunderte Ausflügler hören zu. Damit niemand die Musik entbehren muss, verteilt der Wind die Klänge gleichmäßig zwischen den Bergen der Umgebung. Manchmal lässt er sie viele Kilometer entfernt fallen: irgendwo am Straßenrand zum Beispiel, wo gerade jemand propere Kühe fotografiert und sich über die Geräusche aus dem Nirgendwo wundert.