Zürich à la carte: Ein Bummel auf den Spuren großer Geister und angesagter Adressen

Wäre der Titel "Goldene Stadt" nicht schon vergeben, hätte Zürich einen legitimen Anspruch auf ihn. Das findet David, ein gebürtiger New Yorker, der schon lange hier lebt, die Stadt an der Limmat liebt und inzwischen ein immer noch leicht amerikanisch gefärbtes Züri-Dütsch spricht.

"In den Gewölben der Geldinstitute unter dem unscheinbaren grauen Pflaster der Bahnhofstraße lagern Milliarden in allen konvertierbaren Währungen der Welt, stapeln sich Goldbarren in Tresoren", sagt er. Wenn sie nur wollten, könnten die Zürcher ihre Gehwege mit Blattgold überziehen lassen. Aber da sei Zwingli vor! Denn noch heute prägt der gestrenge Geist des Reformators die Bürger. Er kam Anfang des 16. Jahrhunderts hierher und lehrte seine Gemeinde rund um das Großmünster echte protestantische Tugenden, von denen Bescheidenheit die vornehmste ist. Ein eisernes Denkmal unterhalb des Großmünsters an der Wasserkirche erinnert an den Mann mit ehernen Grundsätzen. Protzerei ist den Zürchern heute noch genauso fremd wie in jenen fernen Tagen.

"Wir freuen uns, daß Zürich bereits zum dritten Mal zur Stadt mit der höchsten Lebensqualität ernannt wurde", schmunzelt die Frau aus der Trittligasse. "Aber Hamburg, wo Sie herkommen, ist doch auch sehr schön." Aus Hamburg stammen auch die beiden Studentinnen, die wir hier treffen. Sie wandeln auf den Spuren der großen Geister, die einst in Zürich lebten und wirkten. Im James-Joyce-Museum waren sie bereits. Auch das Grab des großen Dichters auf dem Friedhof Fluntern haben sie besucht und seinem bronzenen Standbild Blumen in den Arm gelegt. Jetzt sind sie auf dem Weg in die noble Bahnhofstraße. An den Auslagen der sündhaft teuren Läden und Boutiquen drücken sie sich die Nasen platt. "Sind das Preise", raunt die zierliche Blonde ihrer Freundin zu, "zu hoch für uns."

Am Paradeplatz vor dem berühmten "Cafe Sprüngli" werden die Mädchen schwach. Dem verführerischen Duftcocktail aus feinen Pralinen, Torten und frisch gebrühtem Kaffee können sie trotz ihres schmalen Budgets nicht widerstehen. Nach einer Verschnaufpause streben sie dem "Baur au Lac" zu. Dieses Zürcher Kleinod am Ende des Prachtboulevards beherbergte in seiner 150jährigen Geschichte alles, was jemals Rang und Namen hatte, Kaiserin Sisi, Richard Wagner und Thomas Mann, der das "wahrhaft wirtliche Haus" pries.

Ein azurblauer Himmel spannt sich über dem Zürichsee. Die Flaneure auf der Promenade genießen die warmen Strahlen der Herbstsonne. Am Ufer dümpeln Boote, und in der Ferne blähen sich weiße Segel in der leichten Brise. "Der See ist 40 Kilometer lang, an der breitesten Stelle mißt er vier Kilometer. Er dehnt sich über die Kantone St. Gallen, Schwyz, Zürich und erstreckt sich in Form einer Sichel von der Mündung der Linth bis zum Ausfluß der Limmat," erklärt der Reiseleiter. Nur wenige hören zu. Die meisten suchen nach Einblicken in die einzigartigen Grundstücke am rechten Seeufer, die sogenannte "Goldküste". Auf die Frage, wer in dieser prächtigen Villa mit der breiten Freitreppe wohnt, verweigert der Cicerone die Antwort. Die Namen der prominenten Anrainer sind gehütet wie das Schweizer Bankgeheimnis.

Dem Rundtrip folgt ein Besuch der Sauna am See. Während man entspannt im riesigen "Tauchbecken" liegt, scheinen bei klarer Sicht die Berge der Ostschweiz zum Greifen nah. In Richtung Stadt zeichnen sich die Doppeltürme des Großmünsters klar gegen den Horizont ab.

"Hier ist des Volkes wahrer Himmel", zitiert ein Mann, der mit seiner Kamera das Leben und Treiben in der Altstadt festhält. Zur Mittagszeit ist ganz Zürich auf den Beinen. In den behaglichen Cafes und Restaurants ist kaum ein Tisch frei. Der anschließende Verdauungsspaziergang führt durch Jahrhunderte stolzer Zürcher Geschichte. Bürgerhäuser, deren Strenge durch verspielte Erker und Blumenschmuck gemildert wird, säumen die holperigen Gassen. Lichte Plätze mit plätschernden Brunnen laden zum Verweilen, schicke Boutiquen zum Shopping ein. An der holzgetäfelten "Weinstube Oeli" am Rindermarkt 12 (im Restaurant Oepfelchammer , Telefon: 25 12 336) kommen auch die beiden Literaturfreundinnen aus Hamburg nicht vorbei. Sie sitzen an einem der groben Tische und amüsieren sich über das Reglement für die Gäste des Hauses: "Sitze anständig am Tisch. Nur Flegel haben die Füße auf der Sitzbank." Sonst ist fast alles erlaubt. In erster Linie der Wein-Genuß.

Im Angesicht des einstigen Wohnhauses von Gottfried Keller genießen die Mädchen ihren Schoppen. Hinter jenen kleinen Fenstern hat er also seine "Zürcher Novellen" verfaßt! Später schauen sie dann im "Gasthaus zum Schwert" am Weinplatz vorbei. Hier pflegte Dichterfürst Goethe stets nach langen Gesprächen mit seinem Kollegen Lavater zu nächtigen.

Nach einem Drink im "Odeon" am Limmatquai 2, einem Intellektuellen- und Künstlertreff, in dem schon Karl Kraus und Max Frisch verkehrten, ist es höchste Zeit für einen Abstecher nach Zürich-West oder "Kreis 5". Dieses einst triste Industrieviertel hat sich zur Trendmeile gemausert. Bars, Clubs, Restaurants und Kneipen sind aus dem Boden geschossen. Alte Fabrikgebäude wurden entkernt und restauriert, die Obergeschosse zu lichten Lofts umgebaut. Hier haben sich vor allem Maler und Grafiker niedergelassen.

"Grüezi, kommen Sie nur herein", bittet die junge Frau in der ehemaligen Fabrikhalle, die einem prächtigen Blumenladen gewichen ist. Im "La Salle" (im Schiffbau, Telefon: 258 70 71), einem minimalistisch eingerichteten Restaurant mit erlesener Küche, trifft sich die feine Welt. Nach dem Essen bricht man auf ins "Moods", das trendige Jazzlokal gleich nebenan. Eine reizvolle Alternative, finden wir, ist "Les Halles", das Szene-Lokal im Charme der sechziger Jahre mit Gartenstühlen, wackeligen Tischen und Selbstbedienung (Pfingstweidstraße 6, Telefon: 273 11 25). Während sich das exklusive "Indochine" mit vielen vergoldeten Buddhas fernöstlich gibt, kuriert das "hard on"(Telefon: 444 10 00) hoch über den Dächern der Heinrichstraße auch notorische Nightclub-Muffel. In der rundum verglasten, mit bequemen Ledersesseln ausgestatteten Bar lassen wir den Abend bei dezenter Musik ausklingen.

"Fine drinks, food und cigars" verspricht das Etablissement. Unser Tischnachbar aus Washington steckt sich eine Havanna an und nickt zufrieden. In diesem Ambiente, sagt er, würde sich Bill Clinton wohlfühlen . . .