Graubünden läßt sich sportlich-fit per Mountainbike erkunden. Fehlen die Kräfte, geht's halt im Zug weiter.

Es hat alles nichts genützt. Das morgendliche Joggen nicht und die Schinderei im Fitneß-Studio nicht. Am Berg haben sie mich trotzdem abgehängt. Denn mangels Masse bin ich mountainmäßig einfach untrainiert.

Wenn man als Hamburgerin versucht, mit einer Gruppe alpiner Mountainbiker im Schweizer Kanton Graubünden mitzuhalten, sind eigene Grenzen schnell aufgezeigt. Während die anderen unbeeindruckt steilste Hänge zügig bewältigen, mache ich die interessante Erfahrung, daß es schon ziemlich anstrengend ist, ein zwölf Kilo schweres Rad zwei Kilometer weit bergauf zu schieben. Zum Glück gibt es für den inneren Schweinehund noch die roten Züge der Rhätischen Bahn: Sie nehmen schwächelnde Flachländer und ihre Räder per "Selbstverlad" auf, um ihnen die steilsten Pässe zu ersparen.

In Chur, älteste Schweizer Stadt und Hauptstadt von Graubünden, wird unter der preisgekrönten Dachkonstruktion des Postauto-Terminals unser Gepäck verladen - und fortan wie von Zauberhand zu unserem jeweils nächsten Etappenziel befördert. Abends haben wir es im jeweiligen Biker-Hotel dann wieder griffbereit.

Die 21-Gang-Räder - von Insidern nur "Bikes" genannt - sind mit GPS-Navigationsgeräten ausgestattet. 20 Touren auf insgesamt 930 Kilometern wurden vom Tourismusverband Lenzerheide Valbella derart aufbereitet. "Bike-Guru" und Tourbegleiter Gerd Schierle will noch in diesem Sommer die gesamte Schweiz per GPS erschließen. "Wir wollen weg vom biederen Rotsocken-Image", sagt der passionierte Radrennfahrer und Garant für erlebnisreiche Touren - und meint damit die eher gemächliche Klientel der Berg- und Wiesenwanderer. "Mit GPS und Bike wird der Sommer bei uns für eine ganz neue Zielgruppe attraktiv."

Ich schaue nicht allzu oft auf die markierte Route der Satelliten-Navigation, sondern betrachte lieber live die Höhepunkte am Wegesrand: Schlösser, Viadukte, Engadiner Bauernhäuser, Kirchen und Kühe - und natürlich Berg-Panoramen im Breitwandformat.

Mein Super-Bike läuft wie von selbst durch das malerische "Burgenland" Domleschg. Erst einmal. Doch schon auf dem "Polenweg" hinter Ems, hoch über dem Rhein, trennt sich die Spreu vom Weizen. Ich bin die Spreu.

Mittagspause im Garten von Schloß Sins in Paspels, das sich als "Zeitinsel" für Tagungen und Seminare versteht. Hungrig fallen wir über Berge von Pasta her. Kohlehydrate sozusagen auf Verordnung und ohne Reue.

In Anbetracht des wohl anspruchsvollsten Stücks der viertägigen Tour besteige ich in Thusis zum ersten Mal die Bahn und stelle fest, daß sich die Ferienregion Engadin auch passiv wunderbar genießen läßt. Der innere Schweinehund läßt mal wieder grüßen. Die anderen kämpfen sich derweil durch den Schyntunnel hinauf nach Lenzerheide und haben bereits am ersten Tag 1200 Höhenmeter bewältigt.

Beim abendlichen Grillen am See zieht die Truppe vom Leder wie eine Horde Großwildjäger. Coole Cyclisten sind bis aufs i-Tüpfelchen auf alle Eventualitäten vorbereitet sind, die eine Bergtour per Bike nur bieten kann. Mein eigener "Helm im Sonderangebot" indes hat sich wegen Hitzestaus als Fehlinvestition entpuppt. Auch erlebe ich nicht den "Kick per Klick" - Spezial-Metallplatten unter Spezial-Bikerschuhen, die fest an Spezial-Pedalen haften. Ich lerne halt noch. Rücktrittbremse? Fehlanzeige! Gepäckträger? Völlig undenkbar! Schutzblech? Einfach uncool! So erreiche ich jedes noch so feine Hotel schlammbespritzt, mit schwarzem Kettenmuster auf den Waden. Derart gebrandmarkt, fühle ich mich allen Rotsocken und Seilbahnfahrern bereits haushoch überlegen.

Während ich anfangs noch vom Rad steigen muß, bevor ich das einhändige Lenken und Trinken in voller Fahrt beherrsche, hängen die anderen wie künstlich Ernährte am Schlauch, mit dem sie die Lebenskraft aus einem Wasserbeutel im Rucksack saugen. Das Bike als fünftes Gliedmaß, fest mit dir verschweißt.

Am zweiten Tag mache ich Bekanntschaft mit Bikers' Begehren: einem "Single Trail", wo nur eine Person Platz hat. Kaum zwei Handbreit zwischen der Felswand zur linken und bewaldetem Abgrund zur rechten führt er steil und glitschig bergab. Bald schmerzen die Hände, mit denen ich krampfhaft Griffe und Bremsen umklammere, so stark, daß ich einfach laufen lasse und abhebe zum Tiefflug über Wurzeln, dicke Steine, tiefe Pfützen.

"Ganz gemütlich nehmen wir jetzt die nächste Etappe in Angriff", verspricht Gerd im üblichen Bikerlatein und heizt schon über den nächsten holprigen Hang. Auf das beliebte Fotomotiv "Viadukt mit rotem Zug" warten wir mangels Fahrplan jedoch vergebens. Dafür passieren wir auf schweißtreibender Fahrt die Original-Filmhütte von Heidi und Bergün - einen Ort wie eine Filmkulisse. Nur die "hardcore-Biker" muten sich den 900-Meter-Anstieg über den Albulapaß und das Felsennest Guarda nach St. Moritz zu, die übrigen entern mit mir die Bahn.

Das Vorurteil, Biker-Unterkünfte wären mit spartanischen Herbergen gleichzusetzen, müssen wir spätestens im feinen "Sporthotel" von Pontresina revidieren. Dort fehlt es uns tatsächlich an nichts.

Meine fahrtechnischen Fertigkeiten werden von Tag zu Tag besser. Vorausschauend schalte ich nun schon vor dem Hang und nicht erst krachend, kurz bevor das Bike vor dem Exitus steht. Zum ersten Mal schaffe ich eine längere Steigung, ohne abzusteigen, obwohl Gerd stets getröstet hat: "Es ist keine Schande zu schieben, der Profi fängt nur später damit an."

Verlockend nah am Bahnhof von Scuol übernachten wir im urgemütlichen "Hotel Bellaval". Und erliegen am nächsten Morgen unisono der Versuchung, per Zug nach Klosters zu fahren. Den letzten Anstieg nehmen wir hinter Küblis in Angriff, der - erfreulich - direkt in eine Winzerei im Weinbaugebiet "Bündner Herrschaft" führt. Zwei Gläser Blauburgunder steigern die gewonnene Erkenntnis, die Gerd sogleich auf den Punkt bringt: "So einen richtig geilen Trail gibt es eben nur in den Bergen!"