Sommer 2003. Ein Anfangsverdacht: Hat Staatsrat Wellinghausen Nebeneinkünfte? Abendblatt-Recherchen fördern nach und nach Verstrickungen zutage, die am Ende zu Neuwahlen führen.

Später, nachdem alles zu Ende war, trafen wir uns in einem Cafe, ich glaube, es war das Funkeck an der Rothenbaumchaussee, um noch einmal über das politische Erdbeben zu sprechen, das im Sommer 2003 das Hamburger Rathaus erschüttert hatte. Wir plauderten über die neue politische Lage und aßen belegte Brötchen, da fragte er mich plötzlich: "Sagen Sie mal, Herr Meyer-Wellmann, wie fühlt man sich eigentlich, wenn man einem seiner Opfer gegenübersitzt?"

Ich schluckte, legte mein Schinkenbrötchen auf den Teller und entgegnete: "Sie sind nicht mein Opfer, Herr Wellinghausen. Sie sind Ihr eigenes Opfer."

Diese Szene muss sich irgendwann Ende 2003 oder Anfang 2004 ereignet haben. Der umtriebige Anwalt und einstige Sozialdemokrat Walter Wellinghausen war längst nicht mehr Staatsrat der Hamburger Innenbehörde - und sein einstiger Chef Ronald Schill nicht mehr Innensenator und Zweiter Bürgermeister. Die denkwürdige Koalition aus CDU, Schill-Partei und FDP, die 2001 nach 44 Jahren die SPD-Vormacht gebrochen hatte, war längst kaputt und Ole von Beust bereits auf dem Weg zur absoluten Mehrheit. Der Grund für all diese politischen Verwerfungen saß mir in jenem Cafe gegenüber - und lächelte mich an, mit diesen verschmitzt blickenden Augen, hinter denen es fortwährend zu rattern scheint.

Walter Wellinghausen war ein Glück für Ronald Schill gewesen - und am Ende sein politischer Untergang. Wellinghausen hatte Schill in einem Verfahren erfolgreich gegen den Vorwurf der Rechtsbeugung verteidigt, der noch Schills Zeit als "Richter Gnadenlos" betraf. Der neue Innensenator machte Wellinghausen Ende 2001 zu seinem Staatsrat - und kaufte damit einen ebenso gewieften wie arbeitsamen und umstrittenen Juristen ein.

Die ersten kritischen Schlagzeilen über Wellinghausen hat es bereits kurz nach dessen Amtsantritt im Dezember 2001 gegeben. Dabei wurde berichtet, der Staatsrat habe veranlasst, dass ihm bestimmte Vorgänge zum Thema organisierte Kriminalität nicht mehr vorgelegt würden - was er bestritt. Es folgte ein wochenlanges öffentliches Geplänkel über angebliche Weitergaben aus Ermittlungsakten gegen einen SPD-Sprecher, das nie zu einem Ergebnis führte.

Das lange Ende von Wellinghausens kurzer Karriere als Staatsrat läutete aber das Abendblatt mit einem Artikel vom 20. Juni 2003 ein - unter dem Titel "Die Nebeneinkünfte des Staatsrats Wellinghausen".

Bereits zuvor war Wellinghausen in Verdacht geraten, trotz seiner Tätigkeit als Staatsrat auch weiterhin anwaltlich gearbeitet zu haben, und zwar als Berater einer Radiologenpraxis. Wellinghausen hatte aber stets bestritten, dass er noch beratend für die Praxis tätig sei. Vielmehr habe er lediglich nachträgliche Fragen zu einer früheren Beratertätigkeit beantwortet, so Wellinghausen.

Wir hatten dieser Aussage in der Redaktion nie getraut - und energisch weiter recherchiert. Schließlich stieß Reporterin Kristina Johrde auf den entscheidenden Beleg: die Kopie eines Dauerauftrages aus den Akten des Landeskriminalamtes. Ein Zufallsfund bei einer Durchsuchung der Radiologenpraxis Broemel kurz zuvor wegen eines ganz anderen Falles. Der Dauerauftrag über rund 4600 Euro monatlich lautete auf den Namen Wellinghausen. Unter Verwendungszweck stand "Honorar Geschäftsführung". Broemel selbst bestätigte uns daraufhin, dass er noch immer, also bis zum Juni 2003, an Wellinghausen zahle. Außerdem telefoniere er manchmal sogar mehrmals täglich mit ihm über rechtliche Fragen. Bevor wir den Artikel veröffentlichten, klopften wir alle Aspekte der Geschichte immer und immer wieder ab. Wir ließen uns Aussagen schriftlich bestätigen, führten Gespräche immer unter sechs Augen - und erbaten auch von Wellinghausen eine schriftliche Stellungnahme. Erst als die Geschichte wasserdicht war, veröffentlichten wir.

Die Öffentlichkeit und die anderen Medien staunten nicht schlecht. Und Schills Staatsrat hatte nun ein echtes Problem. Denn wer ein Staatsamt übernimmt, darf nicht mehr anwaltlich tätig sein. Jetzt aber lag eine anwaltliche Nebentätigkeit des Staatsrats auf der Hand - zumal Wellinghausen ein Honorar bezog, häufig mit Broemel über rechtliche Fragen telefonierte und Faxe bei Broemel auftauchten, die Wellinghausen aus der Innenbehörde geschrieben hatte.

Der Staatsrat versuchte dennoch, bei seiner Verteidigungslinie zu bleiben. Die monatlichen Zahlungen leiteten sich aus früheren Ansprüchen ab, eine aktive Rechtsberatung gebe es nicht, er telefoniere auch bestenfalls alle sechs Wochen mit Broemel.

Von Beust war nicht amüsiert, wie aus dem Rathaus zu hören war. Dennoch erklärte er die Sache Anfang Juli für erledigt - schließlich brauchte er Schill, und der brauchte Wellinghausen. Er vertraue dem Wort des Innenstaatsrates, ließ der Bürgermeister wissen - und entschwand in den Urlaub an die Adria.

Das Abendblatt aber recherchierte weiter - jetzt stieß auch Sven Kummereincke zum Rechercheteam. Wir stießen auf eine weitere mögliche Nebentätigkeit Wellinghausens. Die Spur führte nach München. Dort war Wellinghausen seit längerer Zeit Vorstand einer Privatklinik gewesen, wie wir aus unterschiedlichen Quellen erfuhren. Wir reisten nach München und wurden im Handelsregister fündig - wieder knapp vor der Konkurrenz. Dort war Wellinghausen bei der Isar Klinik II AG als Vorstand eingetragen - bis zum November 2002, also fast ein Jahr lang parallel zu seiner Aufgabe als Staatsrat. Auch dies wäre eine unerlaubte Nebentätigkeit. Wellinghausen verteidigte sich auf die übliche Weise: Er habe seine Tätigkeit Ende 2001 aufgegeben, man habe lediglich vergessen, ihn beim Handelsregister auszutragen. Das galt es zu überprüfen. Also sprachen wir mit Mitgliedern aus dem Vorstand und Aufsichtsrat der Isar II AG. Und stießen bei unseren Recherchen auf offizielle Firmendokumente und Sitzungseinladungen, die Wellinghausen noch im Laufe des Jahres 2002 unterzeichnet hatte. Wellinghausen bestritt, 2002 noch Geld von der AG bekommen zu haben - das Abendblatt belegte das Gegenteil.

Und dann kamen noch andere Vorwürfe gegen Wellinghausen dazu: Er habe als Staatsrat durch einen Vermerk an Schill die Suspendierung eines Polizeibeamten verhindert, den er zuvor als Anwalt vertreten hatte.

Am 11. August kam es schließlich zum Showdown im Rathaus. In einer Sondersitzung des Innenausschusses der Bürgerschaft, die sich bis in den Morgen hinzog, räumte Wellinghausen schließlich ein, was das Abendblatt ihm längst nachgewiesen hatte: dass er auch 2002 an Sitzungen der Isar Klinik II AG teilgenommen und auch Geld von dem Unternehmen bekommen hatte - obwohl er längst Staatsrat war. Er habe dies vergessen gehabt, so Wellinghausen - obwohl es sich um eine Summe von mehr als 18 000 Euro handelte, wie er wenig später offenlegte.

Damit war offenbar das Maß voll - jedenfalls für den Bürgermeister. Als von Beust aus dem Urlaub zurückkehrte, sichtete er die Akten und kam schnell zu dem Schluss: Angesichts der Anzahl von Verfehlungen, die vor allem das Abendblatt Wellinghausen nachgewiesen hatte, war der Mann nicht zu halten - so wertvoll er auch für Ronald Schill sein mochte. Schill aber stellte sich quer. Sollte von Beust Wellinghausen entlassen, werde die Koalition platzen, drohte er. Der Grund war klar: Wellinghausen war über die Monate zu einer Art Schatteninnensenator geworden. Während Schill, dem Aktenarbeit zuwider war, sich nur stundenweise in der Behörde aufhielt, schmiss Wellinghausen den Laden faktisch allein. Er kam früh und ging oft erst spät in der Nacht, er behielt den Überblick über die Verwaltung, pflegte Kontakte zu den Medien, begleitete Einsätze von Feuerwehr und Polizei (Motto: "Siehst du ein Blaulicht um die Ecke sausen, ist nicht weit der Wellinghausen"), und er war in Fachfragen bald schon der erste Ansprechpartner in der Behörde - auch für den neuen CDU-Bürgermeister Ole von Beust. Ohne Wellinghausen wäre Schill wohl schon nach kürzester Zeit am Ende gewesen - das war dem gnadenlosen Richter wohl selber klar. Denn eine Behörde kann man nicht allein mit markigen Sprüchen führen. Es gibt auch Arbeit, die erledigt werden muss. Und dafür hatte Schill seinen Wellinghausen.

Die ganze Sache hatte nur zwei Haken. Erstens war Wellinghausen bis kurz vor seiner Berufung zum Innenstaatsrat als Anwalt naturgemäß in Kontakt auch mit allerlei Kriminellen gekommen. In seiner Kanzlei waren auch Fälle von organisierter Kriminalität bearbeitet worden. Einmal hatte ein Unbekannter sogar auf Wellinghausens Bein geschossen - und seine Gegner verwiesen nun gern darauf, dass dies die klassische "letzte Warnung" im Milieu sei. Deswegen fürchtete nun nicht nur die Opposition, sondern auch der eine oder andere Kriminalbeamte, Wellinghausen könnte geheime Informationen, an die er als Staatsrat gelangte, anders als nur dienstlich nutzen - was Wellinghausen stets vehement bestritt. Besonders argwöhnisch waren die Sozialdemokraten, die es ihrem Noch-Parteifreund übel nahmen, dass er nun ohne Skrupel für den politischen Hauptgegner Schill arbeitete.

Zweitens aber zeigte sich bald, dass dieser Mann, der Schill die meiste Arbeit abnahm, nur so überschäumte vor Energie, vor Ehrgeiz, aber auch vor Geschäftssinn. Beides zusammen war es, womit er sich selbst, Schill und den Mitte-rechts-Senat zur Strecke brachte. Am Ende hatten sich zu viele Unwahrheiten, Unklarheiten und Überweisungen angehäuft. Deswegen blieb von Beust nach seiner Rückkehr aus dem Urlaub hart: Wellinghausen sollte gehen. Ebenso hart aber bleib Schill: Wellinghausen sollte bleiben. Schließlich kam es am Morgen des 19. August 2003, eines Dienstags, zum Eklat im Büro des Bürgermeisters. Nach Aussage von Beusts drohte Schill ihm für den Fall der Entlassung Wellinghausens damit, ein angebliches homosexuelles Verhältnis von Beusts mit seinem Justizsenator Roger Kusch öffentlich zu machen. Daraufhin verwies von Beust Schill des Büros - und ließ umgehend die Entlassungsurkunden für Schill und Wellinghausen fertigen.

Ein paar Monate versuchte von Beust die Koalition ohne Schill zu retten, was aber nicht funktionierte, da Schill und ein paar Gefolgsleute eine eigene Parlamentsgruppe bildeten und drohten, den Haushalt platzen zu lassen. Schließlich sagte von Beust "Jetzt ist finito", setzte Neuwahlen an - und holte mit einem furiosen Wahlsieg die absolute Mehrheit.

Schill ging nach Brasilien, Kusch verkauft mittlerweile Suizidbegleitung für 8000 Euro - und Walter Wellinghausen versuchte sich nach seiner Entlassung an einer Doktorarbeit über die Rolle des Staatsrats in der Hamburger Verwaltung. Außerdem arbeitet er wieder als Anwalt - und geht sicher auch allerlei anderen Geschäften nach. Jetzt darf er das ja auch wieder.