Was Journalisten tagsüber schreiben, wird hier Zeitung - mit Hightech-Maschinen und ganz viel Lärm.

Hamburg. Ankunft: Dienstbeginn, 20 Uhr. Die Vorgänger stehen noch vor dem Gebäude und pusten Zigarettenrauch in die Spätabendluft. Die 70 Männer der "Mittelschicht" stärken sich im gleißend hellen Neonlicht der Kantine mit Bockwürsten und Kaffee. Vor ihnen liegen acht Stunden Schichtarbeit. Acht Stunden, in denen in der Offsetdruckerei in Ahrensburg das zur Zeitung gemacht wird, was Journalisten am Tag zu Papier gebracht haben, technisch gesprochen: was in digitaler Form per Datenleitung hierhin übermittelt worden ist.

Von den Abläufen in der Druckerei, den Feinheiten der Rotationsmaschinen zum Beispiel oder dem Vorseparieren der Farbauszüge, weiß der durchschnittliche Tageszeitungsjournalist in etwa so viel wie über Stammzellforschung, nämlich: wenig. Daran wird sich zwar auch nach stundenlangem intensiven Schauen, Staunen und Herumrennen nicht viel geändert haben, doch wer einmal vor den riesigen Druckmaschinen gestanden hat, sieht die Zeitung, die auf dem Frühstückstisch liegt, mit anderen Augen. Seit 1984 wird das Abendblatt in Ahrensburg gedruckt. Die Arbeitswelt hier ist eine komplexe; eine Männerwelt, in der neben der Kantinenfachkraft nur zwei Frauen im Einsatz sind. Die Arbeitsvorgänge sind präzis abgestimmt; Störungen, selbst Verzögerungen im Ablauf können teuer werden.

Druckformherstellung: Der Raum, in dem die Daten aus verschiedenen Zeitungshäusern einlaufen, erinnert an die Kommandozentrale aus "Raumschiff Enterprise". Zehn im Halbkreis aufgereihte Computerbildschirme blinken und piepsen ohne Unterbrechung und aktualisieren den Datenbestand. Jetzt, um 22.10 Uhr, liegt "Bild Hamburg" in den Endzügen, vom Abendblatt erwartet man noch drei Seiten. Über drei Datenleitungen schicken neben Springer-Zeitungen auch Konkurrenzprodukte wie die "Süddeutsche Zeitung" ihre Daten nach Ahrensburg, mit einer Geschwindigkeit von 154 Megabit pro Sekunde. Sie laufen in den sogenannten CTP-Belichter (CTP steht für Computer-to- Plate), wo sie mittels eines Laserstrahls direkt auf die Druckplatten gebrannt werden. Pro Seite werden vier Druckplatten erzeugt - andernfalls gäbe es in der Zeitung keine bunten Bilder.

Für eine Farbseite braucht es insgesamt vier Druckplatten in den Bestandteilen Cyanblau, Magenta - genau, die Telekomfarbe! - Gelb und Schwarz. Um 22.19 Uhr ist auch die Abendblatt-Titelseite übermittelt - pünktlich, weil kein aktuelles Ereignis, keine Landtagswahl und kein Champions-League-Spiel den Andruck verzögert. Die Redaktion in der Hamburger Innenstadt kann Feierabend machen, in Ahrensburg geht es jetzt erst richtig los.

Rotation: Die fertigen Druckplatten schaukeln per Telelift in die Rotation. Auf 168 Metern türmen sich sechs gewaltige Maschinen hintereinander auf. Aufgabe von Mitarbeiter Michael Ahrens und den Kollegen ist es, die angelieferten Druckplatten zügig in die Werke einzuhängen - natürlich, man muss es eigentlich nicht sagen, in der richtigen Reihenfolge und vor allem: passgenau. Andernfalls landet Farbe dort, wo sie nicht hingehört. Ahrens wirft einen schnellen Blick auf die Nummerierung jeder einzelnen Platte am oberen Rand und drückt sie mit der abgekanteten Seite auf den Druckzylinder.

Teamführer Dirk Lauszus hat das Kommando in der Rotation und ist verantwortlich, dass sich alle und alles pünktlich in Bewegung setzen. "Letzte Platte", brüllt Lauszus um 22.31 Uhr, und die mächtigen Maschinen rattern los. Innerhalb der nächsten drei Stunden werden sie 270 000 Abendblatt-Exemplare drucken, die Hauptprodukte mit je 32 Seiten. Die Durchschnittsgeschwindigkeit beträgt 35 km/h, und zumindest so viel kann der Laie sagen: Das ist sehr schnell.

Der Lärm ist ohrenbetäubend, es klingt, als wummerten Dutzende Presselufthämmer in unmittelbarer Trommelfell-Nähe. Man muss schreien, und selbst dann versteht man wenig. Gleichzeitig riecht es - trotz leichten Schmieröldufts - wie im Wald. Wunderbar holzig und staubig, auch wenn sich die Idylle ob des Krachs nicht so recht einstellt.

Länger als eine Minute kann man es nur mit den Ohrenschützern aushalten, die die meisten Arbeiter tragen. Durch Schallschutzwände sind sie von den Maschinen getrennt, aber "die größten Hits der Achtziger und Neunziger und das Beste von heute", die aus dem Radio dudeln, müssen voll aufgedreht werden. Stichprobenartig schnappen sich die Mitarbeiter eine Zeitung, um die Druckqualität zu überprüfen. Es folgt die Feinarbeit: Sie geben per Mausklick am Computer hier ein bisschen Farbe zu, dort nehmen sie ein bisschen Wasser zurück. Man soll den Text nicht nur lesen können, es soll, bitte schön, perfekt aussehen - auch wenn die Farben morgens in den Briefkästen nicht mehr so schön nass und satt aussehen wie jetzt, ganz frisch aus der Maschine gespuckt.

Papierlager: Im Keller des Gebäudes lagert Papier für 36 Stunden Zeitungsdruck, verpackt in riesigen Rollen. Jede einzelne ein echter Koloss: Sie wiegt rund 2,4 Tonnen und besteht aus 20 Kilometern Papier - das ist ungefähr so viel wie die Strecke vom Verlag Axel Springer bis zur S-Bahn-Haltestelle Wedel. Es ist menschenleer hier unten. Einzig acht Roboter fahren, mechanisch blinkend, mit eckigen Bewegungen durch die Halle. Sie transportieren die schweren Rollen zu den Rollenträgern, von dort aus werden sie automatisch "eingeachst". Die Signale dafür empfangen sie von den Zentralrechnern. Früher fuhren Arbeiter mit Gabelstaplern durch die Gänge, doch längst braucht es dafür keine Menschen mehr. Zehn Jahre schon fahren die Roboter durch das Papierlager - seither passieren, sagt man, weder Unfälle, noch gehen Rollen kaputt.

Weiterverarbeitung: An eine überdimensionale Carrerabahn erinnert das lange Förderband, das die Zeitungen quer durch die Halle an die Laderampe der Lastwagen verschickt. In Zufuhrketten eingeklemmt sausen sie über die Köpfe der Arbeiter hinweg, jeweils befestigt mit gelben Klammern, die aussehen wir Mini-Sicherheitsgurte. Die Geräuschkulisse dazu klingt, als würde Regen heftig auf ein Metalldach prasseln. Die Zeitungen werden noch um Werbeprospekte ergänzt und schließlich im "Quattro-Pack" versandfertig gemacht: in Klarsichtfolie verpackt und adressiert, mit Kreuzband verschnürt und per Förderband in die auf dem Hof wartenden Lkws geladen.

Abschied: Um 0.30 Uhr ist die Temperatur um ein paar Grad gesunken. Noch stehen die Lastwagen bewegungslos da, bevor bald Stunden ihre Motoren angelassen werden und sie sich mit der frisch gedruckten Fracht auf den Weg zu den Kiosken und Vertriebsstellen machen werden. Fastunheimlich still ist es draußen. Drinnen toben weiter die Maschinen.