AMT NEUHAUS. Sie tun sich schwer, ihre Häuser zu verlassen. Hanna-Lotte Mikuteit Konau

Einmal dreht Gerda Ebert (79) sich noch um: "Passt auf meine Hühner auf", ruft sie ihren Nachbarn zu. Die Handtasche umklammert, verlässt die zierliche alte Frau in der gelben Strickjacke ihr Haus in Konau. Die Reisetasche mit den wichtigsten Sachen ist schon im Bus. "Ich habe Brot eingepackt, Äpfel und Taschentücher, die braucht man immer", sagt sie. Seit mehr als 56 Jahren lebt Gerda Ebert im idyllischen Elbmarschendorf hinterm Deich. Nun muss sie weg - in wenigen Stunden soll die Flutwelle kommen. "Ich habe das schon mal erlebt", sagt die gebürtige Pommerin mit leichtem Zittern in der Stimme und klettert in den Evakuierungsbus, der sie zur nächsten Sammelstelle bringen soll. "Jetzt geht es los." Punkt acht Uhr ist die erste Evakuierung im Amt Neuhaus angelaufen. 1770 Menschen in den Elbdörfern zwischen Dömitz und Boizenburg sollen ihre Häuser verlassen. Seit Tagen fahren Lautsprecherwagen durch die Gemeinden, informieren die Bürger. "Stellen sie Wasser, Strom und Gas ab", steht in einem Flugblatt. Luftmatratzen und Decken sind mitzunehmen, Verpflegung für zwölf Stunden, Kleidung für zwei Wochen. Wer jetzt nicht geht, heißt es, muss eine spätere Rettung selbst bezahlen. "Es ist eine offizielle Anordnung, wie soll ich mich widersetzen", sagt Doris Graefe (55). Vor fünf Jahren ist die Künstlerin mit ihrem Mann aus Lüneburg nach Konau gezogen. "Es sollte unser Alterssitz sein." Nun hat sie Atelier und Galerie ausgeräumt, das große grüne Tor zugeschlossen. "Es ist eine kleine Erleichterung nach den Tagen und Nächten der Angst", sagt sie. "Ich kann nicht verstehen, wenn jetzt noch Leute bleiben." In Käthe Schoops Gemüsegarten steht schon das Wasser, der Porree ist zu einem Drittel bedeckt. "Da drückt immer mal Wasser durch", sagt die 77-Jährige, "aber nie so viel und so schnell." Auch der Keller des mehr als 200 Jahre alten Hauses ist schon überflutet. "Angst habe ich nicht", sagt die Konauerin. Das Goldrandgeschirr ist hochgestellt, die Papiere zu Verwandten geschafft, die Bettdecken ins Auto verladen. "Wir fahren am Nachmittag", sagt ihre Tochter Ilsabe Hoyer (47) und schaut Mutter und Tochter Annemarie (12) mit festem Blick an. "Aber die Männer bleiben." Fast alle Läden, Sparkasse und Post sind geschlossen, nur die Apotheke hat noch auf. "Man fühlt sich verlassen", sagt Helga Jägig (66) aus Zeetze, und es klingt hilflos. "Es gibt große Ängste", sagt Andreas Pöhlmann. Der Pastor aus Stapel begleitet die Evakuierung. Gerade ältere Menschen fühlten sich an die Zwangsaussiedlungen im ehemaligen DDR-Sperrgebiet in den 50er-Jahren erinnert, sagt er. "Wenn es so langsam weiter steigt, ist der Deich hoch genug", meint Wilhelm Wulf (73). "Wer nur den lieben Gott lässt walten", steht am Giebel seines reetgedeckten Fachwerkhauses. Mit Zollstock und Wasserwaage hat er den erwarteten Pegel abgemessen. "Ich gehe nicht", sagt er bestimmt. "So ein Haus verlässt man nicht." Auch seine Nachbarn wollen bleiben. "Wir warten ab", sagt Vera Beckmann (70), während sie in ihrer großen Küche Kartoffeln kocht. Immer mal wieder fahren vollgepackte Wagen von den verrammelten Höfen. In den Evakuierungsbus sind nur drei Konauer gestiegen, 22 waren es im ganzen Amtsbereich. "Ich bin innerlich ganz schön schwach", hat Gerda Ebert noch gesagt. Jetzt ist sie in einer Sammelunterkunft in Dahlenburg und kann nur noch hoffen.