Niemand weiß, ob die Kliniken dem Ansturm gewachsen wären oder wer zuerst Medikamente bekäme, wenn diese nicht reichten.

Experten warnen: Das Schweinegrippe-Virus wird Deutschland treffen. Unklar ist nur, wann. Wenn es im Ernstfall zu einer schnellen Übertragung von Mensch zu Mensch kommt, müssen die für Sicherheit und Gesundheit zuständigen Behörden den "Pandemie"-Fall ausrufen. Die rechtliche Grundlage liefert der Nationale Pandemieplan und Bestimmungen der Bundesländer. Jörg Hacker, Präsident des Robert-Koch-Instituts (RKI), spricht bereits von einer "ernsten und besorgniserregenden" Situation. Allerdings sei Deutschland "gut gerüstet".

Auch der Virologe Michael Pfleiderer vom Paul-Ehrlich-Institut sagte im Bayerischen Rundfunk, die Gesundheitsbehörden seien "bis auf die kleinste Region vorbereitet". Aber haben sie die Lage wirklich im Griff? Und ist der Nationale Pandemieplan, der 2005 als Reaktion auf die Angst vor Vogelgrippe entwickelt wurde, ein wirksamer Rettungsanker? Für die Phasen einer Pandemie sind die Zuständigkeiten geregelt: In Phase 3 arbeiten Bund und Länder zusammen. In der nächsten Phase, in der es zu einer erhöhten Übertragungsrate von Mensch zu Mensch kommt, koordiniert das Bundesgesundheitsministerium die Maßnahmen.

Aber niemand weiß genau, was im Falle einer Pandemie auf uns zukommt, etwa auf die Kliniken.

Ein großes Problem: Wenn bis zu 30 Prozent der Bevölkerung erkranken, wie hoch wird der Krankenstand bei Ärzten und Pflegepersonal und dem übrigen Klinikpersonal sein? Bleiben viele aus Sorge, sich in der Klinik anzustecken, zu Hause? Sind die Kliniken in der Lage, dem Ansturm der Kranken gerecht zu werden? Kommt es zur Hysterie? Christian Lackner vom Institut für Notfallmedizin im Klinikum der Uni München hat die "Problematik der Pandemieplanung an Krankenhäusern" aufgelistet. Bei der Problembewältigung geht es zum Teil um kleine, aber wichtige Details: Wenn etwa wegen der Warnungen, aufgrund der Ansteckungsgefahr keine Busse und Bahnen zu benutzen, Klinikbeschäftigte mit dem Auto kommen "und wir ihnen einen Parkplatz zur Verfügung stellen wollen". Deshalb hofft der Mediziner, dass dann kein Oktoberfest ist, denn die Münchner Klinik baue darauf, die Theresienwiese als Parkfläche zu nutzen. Sonderparkausweise für Klinikmitarbeiter liegen schon bereit.

Im Pandemiefall kämen wichtigere medizinische Probleme hinzu. Die Zahl der Beatmungsgeräte werde in kaum einer Klinik ausreichen. Welche Patienten soll man vorrangig behandeln? An wen werden die Medikamente ausgegeben, wenn absehbar ist, dass sie nicht für alle reichen? An jene, die am schwersten erkrankt sind? Oder an die mit den besten Überlebenschancen? Oder gibt man sie an das medizinische Personal zur Vorbeugung, damit es noch möglichst viele Patienten versorgen kann? Wer solche Entscheidungen treffen muss, steht schnell vor ethischen Konflikten. All diese Fragen belegen: Der Ernstfall ist nicht bis in jede Einzelheit vorzubereiten, schon gar nicht in einem Probelauf. Im Fall der Fälle wären Improvisationstalent und Flexibilität gefragt.

Da erscheint die gegenwärtige Situation als harmlos. Die Behörden kommunizieren "sehr eng" miteinander, versicherte Klaus Vater, Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums. Auf Flughäfen sollen Merkblätter an USA-, Kanada- und Mexiko-Reisende verteilt werden. Der Kontakt zur WHO und zu anderen Ländern sei verstärkt worden. Damit beginne "der Pandemieplan sich auszurollen", sagte Vater.

Im Nationalen Pandemieplan steht auch, welche Mengen antiviraler Medikamente jedes Bundesland bereithalten muss. Jedes Land definiert dann seine Vorratsmenge. Berlin hält einen Vorrat, mit dem 20 Prozent der Bevölkerung mit Arzneien versorgt werden können. Hamburg, Schleswig-Holstein und Niedersachsen lagern je rund elf Prozent. Menschen, die etwa in Kliniken, in der Logistik, Energie- und Wasserversorgung arbeiten, werden damit versorgt.

"Wir haben uns in den vergangenen Jahren intensiv auf eine Pandemie vorbereitet. Das RKI hat ja immer darauf hingewiesen, dass es nur eine Frage ist, wann eine Pandemie ausbricht, und nicht eine Frage, ob sie ausbricht", sagte Christoph Unger, Präsident des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe. Ungers Behörde hat den Pandemiefall in der sogenannten "Lükex.07"(Länderübergreifende Krisenmanagement Exercise)-Übung im November 2007 geprobt. Bund und Länder, Polizei, Ärzte, Apotheker und eine Supermarktkette spielten durch, was passiert, wenn sich Menschen reihenweise infizieren.

"Wir haben in der Übung angenommen, dass etwa 30 Prozent der Bevölkerung in Deutschland erkrankt sind", sagte Unger. Probleme zeigten sich unter anderem im Management von Verantwortlichkeiten. "In einer Katastrophenlage müssen Kommunikationswege ganz klar sein. Darüber hinaus ist es wichtig, dass die Verantwortlichkeiten eindeutig sind. Und Mitarbeiter, die vorher einen normalen Bürojob gemacht haben, müssen unter Zeitdruck arbeiten. Das ist eine große Herausforderung, weil man umstellen muss." Die Übung in Thüringen hatte gezeigt, dass dies noch nicht optimal funktionierte.

Auch an anderer Stelle haperte es: Die Medikamente für den Krisenfall liegen als Pulver, nicht als Tabletten vor. Im entscheidenden Moment muss man darauf vorbereitet sein, dass Wirkstoffe aufgelöst und als Flüssigkeit verbreitet werden müssen. Die Lükex-Übung offenbarte an vielen Stellen derartige Stolpersteine. Immerhin sind sie in einer Übung und nicht im Ernstfall zutage getreten. "Wir haben einen 53 Seiten starken Auswertungsbericht der Lükex-Übung mit allen Erkenntnissen an alle Beteiligten mit einer Umsetzungsempfehlung geschickt", sagte Unger. Ob das bis in die letzten Kommunen und Gemeinden geschehen sei, wisse er nicht. "Ich hoffe aber, dass die Erkenntnisse aus unserer Pandemie-Übung auf allen zuständigen Ebenen umgesetzt wurden."