Die CDU-Politikerin über ihren Streit mit den Ländern - und über getrennten Schulunterricht.

Hamburg/Berlin. Hamburger Abendblatt:

Studiengebühren schrecken weitaus mehr junge Menschen vom Studium ab als bisher angenommen. Das haben Bildungsforscher herausgefunden. Müssen Sie umdenken, Frau Ministerin?

Annette Schavan:

Nein, denn die zwei Studien, die wir in Auftrag gegeben haben, zeigen ein sehr differenziertes Bild. Sie zeigen, dass die Gebühren kaum vom Studium abschrecken. Dazu kommt, dass in den Ländern, in denen Studiengebühren erhoben werden, die Zahl der Studienanfänger jetzt deutlich gestiegen ist. Und drei Viertel der Studierenden sagen, dass sie von den Studiengebühren bessere Leistungen der Hochschulen erwarten.



Abendblatt:

Sie haben die Studie, die jetzt öffentlich geworden ist, unter Verschluss gehalten. Die SPD wirft Ihnen vor, unliebsame Ergebnisse zu unterdrücken ...

Schavan:

Der Vorwurf ist falsch und leicht durchschaubar. Die SPD wusste, dass es zwei Studien gibt, die gemeinsam präsentiert werden. Das geschieht, sobald die zweite Studie fertiggestellt ist. Es gibt auch keinen Grund, angesichts der Ergebnisse die Studien zurückzuhalten.



Abendblatt:

Warum sollten sie dann beim großen Bildungsgipfel von Bund und Ländern keine Rolle spielen?

Schavan:

Die Studiengebühren sind nicht Teil der Dresdner Erklärung, weil im Vorfeld des Gipfels klar war, dass es hier zwischen den Ländern unterschiedliche Auffassungen gibt.



Abendblatt:

Haben Sie ein Einsehen und schaffen Sie die Studiengebühren ab, ruft Ihnen der neue SPD-Chef Franz Müntefering zu. Wäre das nicht das Beste?

Schavan:

Nein. Ich halte Studiengebühren für richtig. Im Übrigen sind sie Ländersache. Die Beiträge zum Studium stärken die Weiterentwicklung der Hochschulen. So werden sie auch von den meisten Studierenden wahrgenommen. Und Studiengebühren sind auch international üblich. Haushalte von Hochschulen können nicht nur gespeist werden aus Mitteln der öffentlichen Hand.



Abendblatt:

500 Milliarden Euro setzt der Staat zur Stabilisierung von Banken ein. Was ist Ihnen ein besseres Bildungssystem wert?

Schavan:

Der Staat hat ein Paket geschnürt zum Schutz der Spareinlagen und Investitionen der Bürgerinnen und Bürger - und nicht für die Banken. Das Bildungssystem ist uns sehr viel wert. Das Präsidium der CDU hat beschlossen, dass der Anteil der Bildungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt auf sieben Prozent steigen soll. Das ist ein anspruchsvolles Ziel.



Abendblatt:

Die Ministerpräsidenten stellen Milliardenforderungen, wollen erhebliche Anteile am Steueraufkommen. Bleiben Sie hart?

Schavan:

Wir werden in Dresden der Forderung nach Umsatzsteueranteilen nicht nachkommen. Das ist ein Bildungsgipfel und kein Finanzgipfel. Im Vordergrund steht der Konsens über Inhalte und Ziele der Weiterentwicklung des Bildungssystems. Übrigens ein bemerkenswerter Konsens, den es so noch nicht gegeben hat.



Abendblatt:

Wir nehmen vor allem Streit wahr.

Schavan:

Ich kenne das Papier, das wir in Dresden verabschieden wollen, und das ist geprägt von Konsens.



Abendblatt:

Welche konkreten Ergebnisse werden Sie verkünden?

Schavan:

Wir werden uns beispielsweise verständigen auf konkrete Maßnahmen zur Stärkung der frühkindlichen Bildung und zur Halbierung der Zahl derer, die ohne Abschluss mit Schule, dem Studium und ihrer Ausbildung aufhören. Für Schüler, die sich schwertun mit dem Schulabschluss, wird es ein Programm des Bundes und der Bundesagentur für Arbeit geben. Wir werden erhebliche Mittel zur Stärkung des Ausbildungssystems zur Verfügung stellen. Der Zugang von Meistern und Technikern zum Studium soll erleichtert werden. All dies wird zu mehr Chancen und mehr Durchlässigkeit des Bildungssystems führen.



Abendblatt:

Reicht das, um die "Bildungsrepublik Deutschland" auszurufen?

Schavan:

Das sind wichtige Schritte, eine Etappe auf dem Weg zur Bildungsrepublik. Ende 2010 machen wir die erste Zwischenbilanz zu dem, was jetzt beschlossen wird.



Abendblatt:

Bildung ist eigentlich Ländersache. Haben die Länder versagt - oder warum mischt sich der Bund jetzt in ihre Kompetenzen ein?

Schavan:

Die Länder haben nicht versagt. In der Bildungspolitik gibt es Themen, die ausschließlich in der Zuständigkeit der Länder liegen; Stichwort Schule. Es gibt auch solche, die beim Bund angesiedelt sind; Stichwort Weiterbildung. Bund und Länder müssen gemeinsam Verantwortung übernehmen. Im Übrigen hat der Bund keine Zuständigkeitsdebatte angezettelt, sondern eine Bildungsdebatte. Bildung ist in der Mitte der Politik angekommen, davon profitieren auch die Länder und ihre Ministerpräsidenten.



Abendblatt:

Frau Schavan, Erziehungswissenschaftler sehen getrennten Schulunterricht von Jungen und Mädchen - zumindest in manchen Fächern - als Weg zu besserer Bildung. Abwegig?

Schavan:

Nein. In einzelnen Fächern in bestimmten Altersstufen kann getrennter Unterricht von Jungen und Mädchen durchaus sinnvoll sein. In manchen Bundesländern sehen die Schulgesetze diese Möglichkeit auch vor.



Abendblatt:

Worin könnte der Vorteil bestehen?

Schavan:

Wir haben Erfahrungen, dass im Bereich der Naturwissenschaften oder der Sprachen es nicht immer gelingt, Jungen und Mädchen in gleicher Weise anzusprechen. Ein Vorsprung der einen oder der anderen ergibt sich daraus, dass eine gewisse Schwellenangst da ist.



Abendblatt:

Sollten mehr Schulen getrennt unterrichten?

Schavan:

Das ist eine Frage, die Pädagogen beantworten müssen. Es ist nicht Aufgabe eines Mitglieds der Bundesregierung, hierzu Empfehlungen zu geben. Grundsätzlich gilt: Unterricht muss so angelegt sein, dass Jungen und Mädchen gleichermaßen Zugang finden. Wenn das im integrierten Unterricht gelingt, ist das am besten. Wo getrennter Unterricht das besser leistet, kann man ihn vorziehen.