“Verrat“ von Betriebsinterna witterte die Konzernspitze im Jahre 2005. Vorstandschef Ricke habe “getobt“, erinnern sich Insider. Dann sollte eine Berliner Spezialfirma auskundschaften, welche Aufsichtsräte wie häufig mit besonders investigativen Reportern telefonierten. Deckname der Aktion: “Clipper“.

Hamburg. Gestern Vormittag standen die Fahnder vor der Tür. Geschickt von der Staatsanwaltschaft Bonn. Ihr Auftrag: durchsuchen und belastendes Material sicherstellen. Ort des Geschehens: die Zentrale der Deutschen Telekom in Bonn, Friedrich-Ebert-Allee 140. Aktenzeichen der Ermittlungen: 430 Js 811/08. Ziel der Aktion: Beweise finden im schmutzigen Spitzelskandal, der seit Tagen die Schlagzeilen bestimmt.

Am Montag hatte das Hamburger Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" den Stein in diesem Wirtschaftskrimi, der noch einige Managerkarrieren unter sich begraben könnte, ins Rollen gebracht. Unter dem Titel "Projekt Clipper" berichtete die Zeitschrift detailliert darüber, zu welchen Mitteln Telekom-Manager offensichtlich gegriffen haben, um undichte Stellen in ihrem eigenen Konzern ausfindig zu machen. "Damals traute niemand niemandem mehr in den mittleren und oberen Chefetagen des Konzerns", sagte ein ehemals hochrangiger Mitarbeiter, der engen Kontakt zum früheren Vorstand pflegte, dem Abendblatt. Immer wieder gelangten als "streng vertraulich" eingestufte Berichte an die Öffentlichkeit. Der frühere Vorstandsvorsitzende Kai-Uwe Ricke soll sich über die häufigen Indiskretionen massiv aufgeregt haben, heißt es aus seinem damaligen Umfeld. "Der hat getobt." Ob er selbst den Auftrag für die dann folgenden Spitzeldienste gegeben hat, bleibt offen. Ricke weist jede Schuld von sich, spricht von "haltlosen und unwahren Vorwürfen" gegen ihn.

Fest steht: Die Deutsche Telekom hat Journalisten und eigene Aufsichtsratsmitglieder in den Jahren 2005 und 2006 überwachen lassen. Die "Drecksarbeit" übernahm der Konzern dabei nicht selbst, sondern er bediente sich nach übereinstimmenden Berichten der "Süddeutschen Zeitung" und der "Financial Times Deutschland" einer kleinen Firma namens Network Deutschland GmbH mit Sitz in der Berliner Schlüterstraße 39 unweit des Kurfürstendamms. Die Spezialität der zeitweise sechs Mitarbeiter: Recherchen via Computer. Bereits vor dem großen Spähangriff arbeitete das Berliner Kleinunternehmen für den Telekommunikationsriesen. Den Auftrag, allzu geschwätzige Telekom-Manager ausfindig zu machen, soll Network dann Anfang 2005 bekommen haben.

Offenbar lief die Spionage so ab: Die Abteilung Konzernsicherheit der Telekom gab telefonische Verbindungsdaten verdächtiger Manager und Journalisten an das Berliner Unternehmen weiter. Network sollte herausfinden, ob es zwischen beiden Berufsgruppen einen "direkten Draht" gab. Im Klartext: Welcher Aufsichtsrat telefonierte mit bestimmten Redakteuren und gab womöglich Konzerninterna preis?

Ins Visier der Telekom-Schnüffler geriet Anfang 2005 vor allem der Redakteur des Kölner Wirtschaftsmagazins "Capital", Reinhard Kowalewsky. Immer wieder sorgte der heute 48-Jährige in der Bonner Telekom-Zentrale für Erstaunen mit seinen gut recherchierten Exklusiv-Geschichten. Mal schrieb er detailliert vor der offiziellen Veröffentlichung über die mittelfristige Finanzplanung des Konzerns, mal über die eigentlich geheimen Ausbaupläne des lukrativen Breitbandnetzes. Auf der Journalistenseite war der "böse Bube" also ausgemacht. Aber wer hatte Kowalewsky seitens der Telekom gefüttert?

In Verdacht geriet Konzernbetriebsratschef und Aufsichtsratsmitglied Wilhelm Wegner. Er sei die "undichte Stelle", wurde bei der Telekom gemutmaßt. Angeblich soll die Network GmbH, nachdem sie lange Zeit ihre Spähdienste ohne Erfolg ausgeführt hatte, laut "Süddeutsche Zeitung" tatsächlich Telefonate zwischen Kowalewsky und Aufsichtsrat Wegner nachgewiesen haben. Wegner wurde von Telekom-Verantwortlichen diesbezüglich zur Rede gestellt. Nach langem Zögern habe er die Gespräche zugegeben, allerdings den Vorwurf zurückgewiesen, Betriebsinterna ausgeplaudert zu haben. In der "Capital"-Redaktion wird sogar vermutet, dass die Telekom einen sogenannten Maulwurf bei ihrem Redakteur Kowalewsky eingeschleust haben könnte. Beweise dafür gibt es bisher allerdings keine.

Kowalewsky reagierte, nachdem er vor wenigen Tagen von den Bespitzelungen erfahren hatte, fassungslos: "Wenn es wirklich stimmt, dass Beauftragte oder Mitarbeiter der Telekom in meine persönlichen Telefondaten eingebrochen sind, erschreckt es mich. Wenn das so war, werde ich Strafanzeige erstatten." Das Brisante dabei: Telekom-Chef Rene Obermann hatte bereits im Sommer 2007 von dem Vorgang erfahren, die "Capital"-Redaktion aber nicht sofort informiert, sondern erst jetzt, als die Affäre aufflog. Ohnehin stellt sich die Frage: Wer wusste wann und vor allem was von den Spitzelattacken? Der frühere Personalvorstand der Telekom, Heinz Klinkhammer, der 2005 und 2006 für die Konzernsicherheit zuständig war, belastet in diesem Zusammenhang den früheren Konzernchef Ricke und Ex-Aufsichtsratschef Klaus Zumwinkel schwer. "Dieser Auftrag, die Lücken für die Indiskretionen zu finden und zu schließen, ist an mir sowie am Chef der Konzernsicherheit vorbei aus dem Umfeld Ricke und Zumwinkel erteilt worden", sagte er dem "Handelsblatt". Eine Aussage, die mit dazu beigetragen haben dürfte, dass die Staatsanwaltschaft Bonn gestern ein Ermittlungsverfahren gegen Ricke und Zumwinkel eingeleitet hat.

Doch der "Fall Telekom" beschränkt sich nicht nur auf Kowalewsky und Wegner. Der Konzern soll 2005 und 2006 so gut wie alle Presseartikel über das Unternehmen auf Exklusivität und einen möglichen "Verrat" von Betriebsinterna abgeklopft haben. Mehrere Monate lang sollen die Telefonate von Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat daraufhin überprüft worden sein, ob sie mit besonders investigativen Journalisten geführt wurden. Auch den stellvertretenden Aufsichtsratschef Lothar Schröder, der zugleich im Bundesvorstand der Gewerkschaft Ver.di sitzt, ließ die Telekom womöglich ausspionieren. "Sollte da jemand leichtfertig das Renommee des Unternehmens und die Sozialbeziehungen aufs Spiel gesetzt haben, um mit illegalen Mitteln Funktionsträger auszuspionieren, wäre das ein großer Skandal", sagte Schröder dem Abendblatt. Gestern entschieden die Gewerkschafter im Aufsichtsrat, "vorsorglich" Strafanzeige gegen die Telekom und Unbekannt zu stellen. Denn die breit angelegte Telekom-Spionage, die den Namen "Projekt Clipper" trug, könnte in den kommenden Monaten noch für so manche böse Überraschung sorgen.

Womöglich ist der Skandal gar nicht - wie bisher angenommen - auf die Jahre 2005 und 2006 begrenzt. Die renommierte Wirtschaftszeitung "Financial Times Deutschland" (FTD) berichtete in ihrer gestrigen Ausgabe, dass die Telekom bereits im Jahr 2000 mithilfe der Berliner Wirtschaftsdetektei Desa den damaligen FTD-Chefreporter Tasso Enzweiler überwacht haben soll. Beim Überprüfen von Telefonnummern soll es in diesem Fall nicht geblieben sein. Angeblich hätten die privaten Fahnder sogar mit versteckter Kamera versucht, Enzweilers Kontaktperson zur Telekom ausfindig zu machen - und zwar in den Redaktionsräumen der FTD in Köln. Die Reaktion der Telekom: "Davon ist uns nichts bekannt."