“Da hatte ein Mann hinter einem Baum plötzlich eine Pistole rausgetreckt . . .“ So erlebten Anwohner von Oberschlehdorn den SEK-Einsatz

OBERSCHLEDORN. Ich wollte eigentlich nur zum Kinderspielplatz", berichtet Maurice Scheiding, noch immer atemlos und aufgeregt. "Da hatte ein Mann hinter einem Baum plötzlich eine Pistole rausgestreckt. Als Schüsse fielen, bin ich dann weggerannt." Maurice ist neun Jahre alt - und Augenzeuge des Anti-Terror-Einsatzes in Oberschledorn. Er beobachtete, wie das Sondereinsatzkommando (SEK) die drei mutmaßlichen islamistischen Terroristen am Dienstagnachmittag festnahm.

Seither steht der 900 Einwohner zählende Ort an der Grenze zwischen Nordrhein-Westfalen und Hessen unter Schock - ebenso wie Mutter Ute Scheiding. "Die Festgenommenen haben nur drei Häuser weiter weggewohnt, und jetzt ist da auch noch Sprengstoff gefunden worden", sagt sie. Jetzt habe sie einfach Angst. Gesehen habe sie die mutmaßlichen Terroristen nicht. "Als ich zu meinem Haus wollte, durfte ich nicht", sagt die 38-Jährige. "Es hieß, da sei ein Mann mit einem Messer gesehen worden. Ich hatte total Angst um meine Kinder."

"Ich bin hier seit 25 Jahren Bürgermeister, nach so etwas ist man völlig fertig", sagt Bürgermeister Heinrich Nolte (CDU). Von dem Zugriff des Sondereinsatzkommandos habe er telefonisch erfahren. Da sei er gerade auf dem Rückweg aus dem Urlaub gewesen.

"Seit Tagen war hier schon die Polizei", berichtet Willi Dessel (50), Ortsvorsteher in Oberschledorn. "Man ist erschüttert, dass so etwas hier passiert." Im Ort wurden die drei Terrorverdächtigen von niemandem bemerkt. "Man erwartet nicht, dass in einem verschlafenen Sauerlanddorf so etwas möglich ist", sagt Hans-Gerd Hellwig (62). "Normalerweise lassen wir hier die Autos immer offen", sagt auch Dessel. Das werde wohl anders werden.

Das Haus, in dem die mutmaßlichen Terroristen lebten, ist so unscheinbar wie der Ort. Ein kleines, hell gestrichenes Einfamilienhaus mit verwittertem Terrassengeländer und braunem Kellergeschoss, davor ein grober Holzschuppen. Es wird seit mehreren Jahren vermietet, vor allem Touristen aus den Niederlanden gehörten zu den Gästen. In diesem Haus sollen die drei Männer einige Tage gewohnt haben, hier wurden angeblich die zwölf Fässer mit Wasserstoffperoxid zum Bombenbau gelagert.

Erinnerungen werden wach an die Bombenleger von Madrid, die sich vor der Verhaftung selbst in die Luft sprengten. Zuletzt stand in Oberschledorn ein Wohnmobil auf einem Bauernhof, etwa 200 Meter von dem Haus entfernt. In dem mit Technik vollgestopften Fahrzeug saßen Spezialisten des Bundeskriminalamts.

Friedewald Dickel (49) war gerade bei der Gartenarbeit, als er die Festnahme der Terror-Verdächtigen fast hautnah miterlebte: "Plötzlich waren überall Leute. Da wurde sofort alles rundum dichtgemacht." Dutzende von Beamten schwärmten aus und besetzten fast jede Ecke seines Anwesens, das etwa 100 Meter von dem Ferienhaus entfernt liegt. Der flüchtende Verdächtige sei nur wenige Meter weit gekommen. "Der lag sofort auf der Erde", erinnert sich Dickel.

Sein Sohn Andre machte gerade seine Mathematik-Hausaufgaben. Unvermittelt sei die Straße von Fahrzeugen blockiert worden. "Das waren 30 bis 40 Autos", sagt der 15-Jährige. Die Sekunden vor dem Zugriff seien lautlos gewesen. "Keine Sirene, kein Blaulicht", erinnert sich der Schüler, der später einen Schuss hörte. "Es war besser als in einem amerikanischen Krimi und besser als Hausaufgaben sowieso." Für die Anwohner Oberschledorns ist der SEK-Einsatz ohnehin das Spektakulärste, was je im Ort passiert ist. Vor Jahren habe es mal einen Überfall auf die Volksbank gegeben, hieß es. Die Räuber hätten sich dann in einem Misthaufen versteckt.