Verfolgt, observiert, abgehört, festgenommen: Bis zu 300 Fahnder registrierten monatelang praktisch jeden Schritt der drei Terrorverdächtigen - das Protokoll.

Berlin. Es ist das Jahr 2006, irgendwo im Norden Pakistans. Drei junge Männer aus Deutschland trainieren den "Ernstfall" in einem Ausbildungslager der islamischen Dschihad-Union, einer sunnitischen Terrorgruppe. Die zwei Deutschen Fritz Martin G. (28) aus Ulm und Daniel Martin S. (21) aus Saarbrücken, die beide zum Islam übergetreten sind, sowie der bei Frankfurt/Main lebende Türke Adem Y. (28) lernen, wie man schießt, wie man sich im Zweikampf bewährt - und wie man mit Sprengstoff umgeht. Danach kehren sie nach Deutschland zurück. Die drei gehen keiner geregelten Arbeit nach, sondern erledigen nur Aushilfstätigkeiten - oder beziehen Arbeitslosengeld II.

Ende 2006 wird die erste Zelle der islamischen Dschihad-Union in Deutschland gegründet. Ihr Ziel: die Rekrutierung neuer Mitglieder und die Planung von Anschlägen auf US-Einrichtungen im Land. Offenbar hat es die Gruppe auf Örtlichkeiten abgesehen, die vor allem von US-Bürgern besucht werden - Diskotheken, Pubs und Flughäfen. Bei den Anschlägen soll es demnach "viele Tote und Verletzte" geben.

An Silvester werden einer der drei jetzt Festgenommenen, Fritz Martin G., und zwei andere Männer überprüft, weil sie laut Generalbundesanwalt versucht haben, zwei US-Kasernen im hessischen Hanau als potenzielle Anschlagsziele auszuspähen. Sie behaupten, nur das Feuerwerk ansehen zu wollen. Fritz G. gilt als mutmaßlicher Rädelsführer und soll zum Umfeld des Islamischen Informationszentrums (IIZ) in Ulm gehören, das nach Angaben des Verfassungsschutzes seit Jahren beobachtet wird.

Der "Stern" berichtete, sie hätten kurz darauf einen Digitalwecker, Klebeband und Batterien gekauft - Gegenstände für den Bau von Spreng- und Brandvorrichtungen. In abgehörten Gesprächen soll einer der Männer gesagt haben, sie seien bereit, sich zu opfern. Die Wohnungen der Mitglieder der verdächtigen Gruppe werden durchsucht, die Ermittler wollen aber noch nicht zugreifen, sondern die gesamte Dimension der Terrorplanungen erfassen. Anfang Januar 2007 wird Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble eingeschaltet.

Zwischen Februar und August 2007 kauft einer der drei Männer nahe Hannover nach und nach zwölf Kanister mit einer 35-prozentigen Wasserstoffperoxid-Lösung. Wasserstoffperoxid, das früher zum Blondieren benutzt wurde, kann auch zur Herstellung von hochexplosivem Sprengstoff verwendet werden. Die zwölf Kanister werden in das baden-württembergische Freudenstadt gebracht und dort in einer Garage zwischengelagert.

Mittlerweile haben auch Ermittler des Bundeskriminalamtes (BKA) die drei Männer im Visier. Sie schalten sich am 2. April in die Ermittlungen ein. Es ist ein Einsatz bisher ungekannten Ausmaßes: Fast 300 Beamte beobachten jetzt die drei Verdächtigen. Diese kommunizieren überwiegend via Internet miteinander. Und obwohl Anfang Mai 2007 die Presse über Aktivitäten der islamischen Dschihad-Union in Verbindung mit US-Einrichtungen in Deutschland berichtet, will die Gruppe offenkundig ihr Vorhaben nicht aufgeben.

Am 17. August mietet einer der drei Terrorverdächtigen unter falschem Namen eine Ferienwohnung im hochsauerländischen Medebach-Oberschledorn an. Am 2. September beziehen die drei Männer die Wohnung im Eichenweg. Dann wird der erste der zwölf Kanister dorthin transportiert. Was die drei Männer nicht wissen: Darin befindet sich mittlerweile nur noch dreiprozentige Wasserstoffperoxid-Lösung. Schon im Juli hatten die Ermittler heimlich die gefährlichere gegen die harmlosere Lösung ausgetauscht, um eine Gefährdung der Bevölkerung auszuschließen.

Einen Tag später kaufen die Männer laut BKA in Dortmund weiteres Zubehör für den Bau von Sprengsätzen: militärische Sprengzünder, Elektronikbauteile und Platinen. Durch Zufall werden sie etwas später, auf einer Erkundungsfahrt, von einer Polizeistreife angehalten, weil sie mit aufgeblendeten Scheinwerfern fahren. Sie sind beunruhigt, aber weiterhin fest entschlossen. Mittlerweile ist die Polizeipräsenz in dem 900 Einwohner zählenden Oberschledorn stark erhöht. Die Polizisten hätten erklärt, sie seien wegen der Digitalisierung des Polizeifunks im Ort, sagen Anwohner.

Am Dienstag dieser Woche beginnen die Männer gegen 13.42 Uhr mit der Sprengstoffherstellung. Dabei diskutieren sie, ob sie wegen der Polizeikontrolle am Vortag nicht vielleicht ein anderes Versteck suchen sollen. Sie sind unruhig und sicher, dass sie verfolgt werden. Sie beschließen, ihr bisheriges Domizil aufzugeben.

Als sie um 14.30 Uhr die Ferienwohnung verlassen, erfolgt der Zugriff durch Beamte der Bundespolizei-Spezialeinheit GSG 9 und des BKA. Zwei der Männer werden sofort festgenommen, dem dritten gelingt die Flucht durch ein Badezimmerfenster. Doch das BKA hat die Nachbarschaft weiträumig abgeriegelt, nach 300 Metern wird der Mann gestoppt. Es kommt zu einem Handgemenge, bei dem er offenbar einem BKA-Beamten die Schusswaffe entwenden kann. Ein Schuss löst sich. Der BKA-Beamte und der Verdächtige werden leicht verletzt. Andere Fahnder überwältigen den Mann.

Am Dienstagabend werden in Baden-Württemberg, Niedersachsen, dem Saarland sowie in Hessen und Nordrhein-Westfalen insgesamt 41 Objekte durchsucht. Dabei stellen die Fahnder Unterlagen, Computer und Geld sicher. Denn zum Kern der Gruppe gehören laut BKA-Chef Jörg Ziercke noch weitere Tatverdächtige und Kontaktpersonen.