Hamburg. Ulm und Neu-Ulm sind zwei beschauliche Städtchen an der Donau. Es gibt dort kaum etwas Außergewöhnliches. Doch auf Islamisten übt diese Region offenbar eine große Anziehungskraft aus. Immer wieder fällt im Zusammenhang mit Ermittlungen gegen Terrorverdächtige der Name Ulm. Im Dezember 2005 ließ das bayerische Innenministerium das 1996 gegründete Multi-Kultur-Haus (MKH) in Neu-Ulm schließen, weil dort gegen die "verfassungsmäßige Ordnung" verstoßen wurde. Danach war ein wenig Ruhe in die Szene eingekehrt. Im benachbarten Ulm aber gibt es noch das Islamische Informationszentrum (IIZ), in dem offenbar weiter gehetzt wird.

Das IIZ habe sich zu einem "Magneten" für solche entwickelt, die zum Islam übertreten wollen, so Ulms Bürgermeister Ivo Gönner (SPD). Zu diesen Konvertiten, die die Fahnder zu den gefährlichsten Eiferern zählen, gehören auch zwei von den drei jetzt festgenommenen Verdächtigen. Fritz G., der mutmaßliche Rädelsführer, wohnt in Ulm-Böfingen. "Jetzt ist die Zeit reif, das Zentrum zu schließen", sagte Gönner gestern. Erst mal kam aber die Polizei. Die Razzia stehe in direktem Zusammenhang mit den Festnahmen, sagte eine Sprecherin der Bundesanwaltschaft.

Das wohl schillerndste Mitglied der Ulmer Islamisten-Szene ist der Deutsch-Ägypter Reda Seyam, der inzwischen mit seiner Frau und sechs Kindern von Arbeitslosenhilfe in Berlin lebt. Er ging in der Moschee des MKH ein und aus. Seydam kämpfte als "Gotteskrieger" in Bosnien und wird mit den Terroranschlägen auf Bali mit 202 Toten in Verbindung gebracht. Seinen jüngsten Sohn nannte er Dschihad (Heiliger Krieg). Seyam zählt weiterhin zu den sogenannten Gefährdern, dem man bisher aber nichts nachweisen konnte, was für ein Verfahren gereicht hätte.

Zum Verhängnis wurden dem Deutsch-Libanesen Khaled al-Masri wohl seine Besuche im MKH und der Kontakt zu Seyam. Vermutlich deswegen geriet er ins Visier der CIA, die ihn Ende 2003 in Mazedonien entführte und fünf Monate in Afghanistan festhielt. Danach wurde er freigelassen. Seine Verschleppung ist Thema des BND-Untersuchungsausschusses in Berlin.

In jüngster Zeit ist der Raum Ulm offenbar Teil einer Entwicklung, die Fahnder mit großer Sorge sehen. Islamistische Ausbildungslager, einst unter dem Schutz der Taliban von al-Qaida in Afghanistan betrieben, sind in den schwer zugänglichen Berggebieten Pakistans wiederauferstanden. Dorthin zieht es auch Muslime aus Ulm - wie eben Fritz G. Im Juni wurde auch der türkischstämmige Tolga D. aus Ulm in Pakistan verhaftet, als er vermutlich auf dem Weg in eines dieser Lager war. Er war Anhänger des ägyptischen Arztes Yehia Yousif, eines charismatischen Imam, der in den 90er-Jahren in Neu-Ulm aktiv war. Dieser tauchte 2002 ab, vermutlich nach Saudi-Arabien. Er gilt als einer der Lehrmeister von Reda Seyam.

Die Münchner Staatsanwaltschaft hatte bereits zuvor gegen Tolga D. ermittelt, weil er Freiwillige für den "Heiligen Krieg" anwerben wollte. Bisher zog es diese Fanatiker vor allem in den Irak, weil man dort im Kampf mit dem Erzfeind USA direkt Erfahrung und Ruhm sammeln konnte. Interessant für Islamisten ist nun auch Pakistan. Ein hoher Sicherheitsbeamter geht zwar nicht davon aus, dass Pakistan die Rolle des Ausbildungslandes vom Irak übernimmt, hält aber beides für brandgefährlich.

Dass gerade in diesem Sommer viele Islamisten mit deutschem Pass in Pakistan ausgemacht wurden, alarmierte die US-Behörden. Es hieß, sieben Verdächtige seien bekannt. Im Juni sorgte ein Video der Taliban zusätzlich für Aufregung: Es zeigt eine Art Abschiedsfeier für Selbstmordattentäter, die sich auch auf den Weg nach Deutschland machen wollten.

Schon 2002 und 2003 beteiligten sich Muslime aus Ulm aufseiten der Rebellen an Kämpfen in Tschetschenien, drei starben dort. Die mittlerweile nicht mehr erscheinende Zeitung des IIZ, "Denk mal islamisch", verherrlichte danach einen der Toten als Märtyrer. Dabei handelte es sich ebenfalls um den Konvertiten Thomas F., der auch Mitbegründer des Islamischen Informationszentrums war.

Die Bedrohung durch aus Deutschland stammende Extremisten sei ein wachsendes Problem, sagte wohl auch mit Blick auf diese Entwicklung Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble gestern. Für die Ermittlung von Verdächtigen sei die Staatsangehörigkeit kein zuverlässiges Kriterium mehr. "Die Religion ist es ganz sicher auch nicht", fügte er hinzu und betonte: "Wir wollen jetzt auch nicht jeden Konvertiten zum Gefährder machen."