Einsturz-Katastrophe: Bis gestern kamen in Bad Reichenhall elf Menschen ums Leben, kaum noch Hoffnung für vier Vermißte. Statiker vermuten bauliche Mängel und fordern Gebäude-TÜV. Einsturzgefahr behindert Retter. Bürger in Trauer und Wut. Hätte die Halle geräumt werden müssen?

BAD REICHENHALL. Oft sind es nur die bloßen Hände, mit denen die Rettungskräfte graben, zerren, Trümmer beseitigen. Es gilt, an letzte Verschüttete heranzukommen. Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit, gegen den Tod.

Natürlich sind auch schweres Räumgerät und Kräne im Einsatz, aber die Statik der zusammengebrochenen Halle ist gefährlich instabil. Die Retter - es sind mehr als 300 - setzen ihr eigenes Leben aufs Spiel, weil Teile der Dachkonstruktion weiter einstürzen könnten. Und eine Außenwand droht unter dem Druck der Trümmer umzukippen, so daß mehrfach die Bergungsarbeiten unterbrochen werden müssen. Dazu schneit es weiter heftig.

Das erhoffte "Wunder von Bad Reichenhall" bleibt aus: Knapp 24 Stunden nach dem verheerenden Einsturz der Eissporthalle schwindet die Hoffnung auf Überlebende unter den Trümmern. Im pausenlosen Einsatz hatten die Rettungskräfte elf Tote geborgen, für vier weitere Verschüttete - eine Frau und drei Kinder - gibt es bei Temperaturen um null Grad kaum noch Überlebenschancen.

Zeitweise wird gar überlegt, heiße Luft in die Trümmer zu blasen, jedoch hätte dies nach Aussagen der Notärzte zusätzliche Gefahren für die Opfer gebracht. Gerüchte, es habe in der Nacht Klopfzeichen von Verschütteten gegeben, sind offenbar eine Fehlmeldung.

In der oberbayerischen Kleinstadt schießen nun die Spekulationen um Versäumnisse der Hallenbetreiber und der Stadtverwaltung ins Kraut. Die Staatsanwaltschaft Traunstein ermittelt wegen fahrlässiger Tötung.

Aus seinem Garten sieht Kurt Niedermayr den Helfern zu. Ihm stehen die Tränen in den Augen, es ist eine Mischung aus Trauer und Wut. "Es war schon eine kühne Entscheidung zu sagen, es besteht Einsturzgefahr, und dann nicht direkt zu räumen", sagt der Rentner. Der Nachbar der Eishalle hatte den Einsturz in seinem Hause gehört und war gleich rübergelaufen. "Es war nicht mehr viel zu machen", sagt er geschockt. Das Chaos sei unbeschreiblich gewesen.

Auch die 60jährige Ilse Michel ist mit den Nerven am Ende. Auch sie hatte den Einsturz gehört: "Ich hab gemeint, ein Flugzeug ist's oder ein Schneepflug, der irgendwo reingedonnert ist."

Sie macht sich über den grau-matschigen Bürgersteig zum Betreuungszelt der Sanitäter auf, um sich eine Beruhigungsspritze geben zu lassen. Im gleichen Moment bilden drüben bei der Ruine Helfer mit gespannten Tüchern einen Korridor zum Sichtschutz: Ein Sarg wird aus der zerstörten Eishalle getragen.

Im Internet machen sich wütende Bürger Luft. "Wenn's knarzt und das Dach einzubrechen droht, laßt ihr Kinder in die Halle. Möge den Verantwortlichen und vor allem den Hallenmeister das Gewissen bis in alle Zeiten verfolgen", schreibt ein empörter Mann ins Online-Gästebuch des bayerischen Kurortes.

Oberbürgermeister Wolfgang Heitmeier ist der Druck förmlich anzusehen, der auf ihm lastet. Nach jedem Interview zündet er sich nervös eine Zigarette an. Immer wieder wird er nach den Gründen für die ausgebliebene rechtzeitige Räumung und nach angeblichen Schwächen der 1971 fertiggestellten Halle gefragt. Heitmeiers Antworten bringen aber keinen rechten Aufschluß: Das Training des örtlichen Eishockeyklubs sei nur vorsorglich abgesagt worden, die Schneelast sei gemessen worden und habe kurz vor dem Einsturz "deutlich" unter den erlaubten Grenzwerten gelegen. Es habe keine Hinweise auf eine akute Gefahr gegeben.

Am Vormittag machen sich der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber, Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (beide CSU) und der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Peter Ramsauer, am Unglücksort ein Bild von der Lage.

In Begleitung von Helfern betreten sie den noch intakten Eingangsbereich der eingestürzten Halle. "Ich bin zutiefst erschüttert, wie schnell Menschen aus dem Leben gerissen werden", sagt Stoiber. Mit gesenktem Kopf steht er da, es sieht aus, als bete er. Es sei besonders tragisch, daß es so viele junge Leute getroffen habe, sagt er. "Wir müssen jetzt den Angehörigen beistehen." Es gebe eine "unglaubliche Solidarität". Den Rettungskräften spricht Stoiber ein "großes Kompliment" aus.

In einer Grundschule betreuen Spezialisten des Malteser Hilfsdienstes und des Arbeiter-Samariter-Bundes Angehörige der Opfer und leisten Erste Hilfe für die Seele. "Es geht um menschlichen Beistand", sagt Malteser-Sprecher Peter Volk. Die Kriseninterventionsteams begleiten Eltern zur Identifizierung ihrer toten Kinder, sind dabei, wenn die Polizei eine Todesnachricht überbringt. Und sie sitzen mit jenen Angehörigen zusammen, die noch immer verzweifelt auf ein Lebenszeichen warten.