Sein Amt verdankt der neue und alte Ministerpräsident der FDP - und seiner Fähigkeit, Krisen auszusitzen wie Helmut Kohl.

Wiesbaden. Die politische Auferstehung des Roland Koch ereignet sich im 5. Stock des Wiesbadener Landtags. Es ist 18.40 Uhr, der noch-geschäftsführende Ministerpräsident verlässt im CDU-Fraktionssaal die kleine Bühne, auf der er eben von "einem der besten Ergebnisse überhaupt" gesprochen hat, von einem "klaren Wählerauftrag" und einem "Spuk", der nun endlich vorbei sei.

Er schreitet milde lächelnd durch die stakkato-artig klatschende Menge. "Roland, Roland"-Rufe begleiten ihn hinaus, dorthin, wo die Fernsehstationen auf ihre Interviews warten.

Ein bisschen Taumel, ein bisschen Verklärung - so stilisieren die CDU-Anhänger Roland Koch an diesem Abend zum Wahlsieger. So einfach kann die Welt der Hessen-Union sein. Dabei sind es nur magere Zuwächse gegenüber dem katastrophalen Wahlausgang vom Januar 2008. Er kann sich bei der FDP bedanken, dass der Ministerpräsident diesen unbehaglichen Titelzusatz "geschäftsführend" bald wieder ablegen darf.

Als Profiteur einer mehrdimensionalen Krise hat Koch den Regierungsauftrag bis 2014 erhalten. Erst die sich selbst zerfleischende Hessen-SPD und dann auch noch die Wirtschaftskrise, beide verhalfen dem Machtmenschen Koch zu alter Autorität; die ist getragen von dem diffusen Wählergefühl, dass einer wie er nach diesem chaotischen 2008 vielleicht doch die vertrauenswürdigste Führungsfigur "in Zeiten wie diesen" (CDU-Wahlkampf-Slogan) sein könnte.

Der Instinktpolitiker hat in dem zurückliegenden Mini-Wahlkampf den Staatsmann gegeben, die personifizierte Wirtschaftskompetenz, den Netten und Sympathischen. So wie in den vergangenen Wochen hat Hessen den einst so eisernen Roland nie zuvor erlebt.

Vergessen und verdrängt scheint an diesem Wahlabend der desaströse Wahlkampf des Winters 2007/2008: Vergessen der Stimmenfang mithilfe fremdenfeindlicher Ressentiments, als Koch den Kampf gegen die Kriminalität jugendlicher Ausländer ausrief. Verdrängt das Ergebnis vom 27. Januar 2008, als Koch die Quittung für den vermutlich größten Fehler seiner politischen Laufbahn erhielt - einen Verlust von zwölf Prozentpunkten. Krachender konnte man nicht verlieren. Von der "schlimmsten Situation" in seinem Politikerleben sprach Koch vor ein paar Tagen in einer Radiosendung.

Die Aussage beschreibt zwar Kochs Fähigkeit zur Reflexion, aber noch lange nicht seine Einsicht. "Emotional entglitten" sei ihm damals das Thema "kriminelle jugendliche Ausländer", gestand er ein. Mehr Demut befand er nicht für nötig. Ein Roland Koch kann nicht gut verlieren. Und die Niederlage groß aufzuarbeiten, war nicht seine Sache im hessischen Chaosjahr 2008. Auch, weil ihn niemand dazu drängte. Koch blieb die Nummer eins der Hessen-CDU, auch mangels Alternativen.

Als nur noch geschäftsführender Ministerpräsident musste er dabei zusehen, wie SPD und Grüne mit der Linkspartei zwei Anläufe nahmen, ihn endgültig aus dem Amt zu kegeln. Koch verhielt sich nicht viel anders als einst sein politisches Vorbild Helmut Kohl: Er saß die Krise in Hessen, die zunehmend nicht mehr seine war, einfach aus und hatte dabei auch noch gehörig Glück, ähnlich wie einst bei den schwarzen Kassen der Hessen-CDU.

Koch weiß um seinen Dusel, und so gehörte zuletzt sein Lob den vier abtrünnigen SPD-Abgeordneten, die letztlich seinen Untergang verhinderten, zum Standardrepertoire seiner Wahlkampfreden. Es heißt, er habe Anfang November sein Büro in der Staatskanzlei geräumt. De facto war Koch entmachtet, als ihm die heillos zerstrittene SPD das unerwartete Comeback verschaffte.

Nun ist die Katastrophe abgewendet, aber im Vergleich zur Wahl 2003 ist das Ergebnis noch immer eine Abstrafung. "Seien wir mal ehrlich", analysiert ein Rentner bei der CDU-Wahlparty, "ohne Koch hätte die CDU locker vier Prozent mehr geholt." Der Koch habe schon viel falsch gemacht, so alles in allem, und nicht im vergangenen Jahr, sagt der Mann mürrisch. So richtig will er sich über den Wahlausgang nicht freuen. Mitten in dem stickigen Saal und inmitten der Euphorie des Weiterregierens steht der treue CDU-Endsechziger mit seiner Meinung ziemlich allein da. "Hauptsache eine bürgerliche Mehrheit", lautet bei den meisten der Tenor, den Roland Koch auch an diesem Abend noch einmal selbst vorgegeben hat.

Der 50-Jährige genießt seinen Aufenthalt im Landtag. Das Bad in der Menge im Fraktionssaal hat ihm gutgetan. Den Gratulanten, die ihn in den schmalen Gängen des Parlamentsgebäudes aufhalten, schenkt er besonders viel Zeit. Wann immer er stehen bleibt, zieht er seine Frau Anke zu sich heran. Seine Körpersprache sagt in jeder Sekunde dieses Abends: Der Sieger bin ich - und wehe, jemand zweifelt daran.

Kochs Sieg besteht einzig und allein darin, eine bürgerliche Mehrheit beschafft zu haben. Dafür lässt er sich feiern. Nicht für seine politische Bilanz. Denn die fällt nach zehn Jahren an der Macht in Wiesbaden durchwachsen aus. In Wirtschaftsfragen, etwa beim Ausbau des Frankfurter Flughafens, hat er zwar gepunktet. Bei der Bildung schon weniger: Das Abitur nach zwölf Jahren - kurz G8 - hat Koch brachial durchgesetzt und damit viele Eltern erzürnt. An den Schulen ist das Thema noch immer virulent, im Wahlkampf fand es dank der Wirtschaftskrise kaum statt.

Dass das Ringen um die Wählergunst jetzt so inhaltsleer ausfiel, ist dennoch nicht Koch anzulasten. Das gebrochene Versprechen Andrea Ypsilantis, niemals mit den Linken in irgendeiner Art und Weise paktieren zu wollen, hat die Gemüter bis zuletzt erhitzt. Es war kein gutes Jahr für die Glaubwürdigkeit der Politik. Und ausgerechnet Koch ist es im Wahlkampf gelungen, an Glaubwürdigkeit zu gewinnen. Das lag nicht an seinen Beliebtheitswerten - die sind seit jeher im Keller -, sondern an seiner immer deutlicher werdenden Krisenmentalität. Koch hat wieder einmal bewiesen, was er auszuhalten imstande ist.

Und so ist - nach einer Machtdekade im früheren SPD-Hoheitsgebiet - für Koch offensichtlich die Zeit für höhere Weihen angebrochen. Mehrmals wird ihm am Wahlabend die B-Frage gestellt: Wann zieht es ihn nach Berlin? Er freut sich jedes Mal, wenn das Thema zur Sprache kommt. Und jedes Mal sagt er trocken, dass er seinen Auftrag in Hessen sehe: "Ich bleibe Ministerpräsident und versuche, meinem Land zu helfen." Mehr Staatsmann geht nicht.

Dennoch rechnet niemand so recht mit einem Roland Koch, den es tatsächlich volle fünf Jahre im neuen Amt hält. Vielleicht wechselt er schon nach der Bundestagswahl in ein machtvolles Ministeramt.

Und selbst wenn nicht: Gegenwärtig kann er wieder auftrumpfen als kühler, sachlicher, gern auch ruppiger Stratege. Wenn Roland Koch nichts mehr falsch macht, wird er sich als der starke Mann neben Angela Merkel positionieren können. Gerade jetzt braucht die Kanzlerin einen wie ihn. Einen, der Schwarz-Gelb kann. Der Krisen übersteht und dann auch noch Wahlen gewinnt. Sie wird Koch in den Bundestagswahlkampf einbinden müssen - und vermutlich auch darüber hinaus. Roland Kochs zweiter politischer Frühling hat soeben begonnen.