Angst, Raketenangriffe, aber auch langweilige Routine und keine Privatsphäre - da ziehen sich viereinhalb Monate Einsatz in einem staubigen Lager wie Kaugummi.

Hamburg. Man kann sie eine Weile unterdrücken, sie einfach ignorieren, durch konzentrierte Arbeit bewusst zudecken oder durch Sport erschöpfen und verjagen. Irgendwann muss man sie zulassen, damit sie nicht die Seele auffrisst. Die Angst. Sie ist der ständige schemenhafte Begleiter der 3370 deutschen Soldaten im Afghanistan-Einsatz. Wird eine Rakete der Taliban die stählerne Wand meines Wohncontainers im Lager durchschlagen, werde ich bei einer Patrouille irgendwo in der Stadt oder in den Bergen von einer improvisierten Sprengladung zerrissen? Komme ich heil wieder zur Familie nach Hause - oder im Metallsarg? Oder vielleicht ohne Beine?

Der Afghanistan-Einsatz, so viel ist längst klar, stellt eine gewaltige psychische und physische Zumutung für die Soldaten der Bundeswehr dar. Dabei haben die meisten kaum einen grundlegenden Zweifel am Sinn dessen, was sie dort am fernen Hindukusch tun. Für zwei Monate mindestens sind sie dort, meist aber für viereinhalb, manchmal gar für neun Monate, in den großen, gut ausgebauten Lagern wie in Masar-i-Scharif oder in den kleinen PRT-Stützpunkten. "In kleinen Schritten können wir durchaus eine Menge für dieses Land tun", ist die vorherrschende Meinung. Doch abends, wenn die Soldaten endlich auf ihrem Bett liegen, kommen die schwarzen Gedanken. Und dann natürlich auch die Gedanken an die Familie, im fernen und sicheren Deutschland. Der eine Soldat hat gerade mit seiner Frau telefoniert, der Schlauch an der Waschmaschine ist geplatzt, sie ist verzweifelt, weil die Wohnung unter Wasser steht. Der Teppichboden ist hin, eine Katastrophe. Der Soldat am Hindukusch wird vermutlich gar nicht erst versuchen, ihr zu erklären, welche Probleme und Sorgen ihn in der Fremde umtreiben. Und welche Risiken dort lauern. "Bisher haben wir hier noch ein wahnsinniges Glück gehabt", denken viele Soldaten - und das trotz der jüngsten Anschläge. Er wünscht sich mehr Verständnis der deutschen Bevölkerung für seine Lage, mehr Wissen darüber, was er hier eigentlich tut.

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Doch bis der Bundeswehrsoldat im Container auf dem Bett ruht und nachdenkt, liegt ein langer Tag hinter ihm. Um halb sechs ist er aufgestanden, hat gefrühstückt und um acht die erste Besprechung mit den Kameraden, das sogenannte "Huddle", hinter sich gebracht. Dann folgen die Berichte über die Ereignisse der vergangenen Nacht und Planungen für künftige Einsätze.

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Mittagessen um zwölf, Abendessen um 18 Uhr. Gegen 20 Uhr, oft auch erst später, kann er sich in seinen Wohncontainer zurückziehen, er kann Sport im gut ausgestatteten Fitnesscontainer treiben, sich beim Militärpfarrer Trost holen, lesen oder sich einen Videofilm ansehen. Sein Wohncontainer ist zehn bis zwölf Quadratmeter groß, aus gehärtetem Stahlblech, obenauf liegt ein Wellblechdach mit Sandsäcken. Sie sollen einen Raketen-Volltreffer abmildern. Die spartanische Einrichtung besteht aus drei Betten - zwei übereinander als Stockbetten, eines quer aufgestellt - sowie aus drei Spinden. Die Wände sind grau, die Spinde hellbraun. Drei Soldaten wohnen hier, es ist eine Art Intensivhaltung. Zwar gibt es Schichten, um den Betrieb eines solchen Lagers 24 Stunden am Tag zu gewährleisten, aber abends sind doch oft alle drei da. Viel Raum für Intimsphäre und Privatleben bietet dies nicht. Es ist ein Lehrstück in Sachen Toleranz und gegenseitigem Arrangement. Unter solchen Umständen ziehen sich viereinhalb Monate zäh wie Kaugummi. Vor allem, wenn man nicht zu jenen gehört, die das Lager hin und wieder zu Patrouillen verlassen. Sondern zu jenen Zahlreichen, die für Unterstützungsleistungen Verantwortung tragen oder das reibungslose Funktionieren der Lagerstruktur gewährleisten, ob in Verwaltung oder Küche. Der Anblick jenseits des Lagerzauns ist überdies meist wenig erbaulich - überzieht von Januar bis März wenigstens zartes Grün die Landschaft, so flammt die Sonne bereits im Frühjahr derart gnadenlos vom Himmel, das alles zu stumpfem Braun verbrennt.

Häufig gleicht ein Tag dem anderen, jeder Tag ist Montag, jedes Mal denselben Weg die Lagerstraße hinunter zum Frühstück, 130 Tage hintereinander. Man erlebt immer das Gleiche - wie in dem Film "Und täglich grüßt das Murmeltier".

Doch wer nach draußen geht, auf Patrouille etwa, erlebt eine ungeheure Belastung für Körper und Seele. Da ist sie wieder, die ständige Angst vor Tod oder Verstümmelung. Die Sinne sind permanent im Alarmzustand, der Körper angespannt. Kommt der Soldat abends in die relative Sicherheit des Lagers zurück, fällt die ganze Anspannung von ihm ab.

Es folgt eine körperliche und geistige Erschöpfung, wie nach einem Marathonlauf unter Lebensgefahr. Bei vielen Soldaten stellt sich schließlich eine fatalistische Haltung ein. "Wenn es passiert und es mich erwischt, dann ist das eben so." Wenn dann Raketenalarm ist und alles in den Containern sitzt, wartet man, bis es geknallt hat. Der eine versucht ein Buch zu lesen, der andere spielt mit seiner Playstation. Und manchmal kommen eben Nachrichten über Kameraden, die irgendwo auf einer staubigen Straße ihr Leben gelassen haben.

Viele junge Soldaten haben den Gedanken, dass ihnen etwas zustoßen könnte, stets verdrängt. Bis zu jenen Seminaren, die vor dem Abflug nach Afghanistan abgehalten wurden. Das Thema: Tod und Verwundung.