Der Autor Peter Scholl-Latour im Interview mit dem Hamburger Abendblatt.

Abendblatt:

Herr Professor Scholl-Latour, ist der Krieg in Afghanistan zu gewinnen?

Peter Scholl-Latour:

Sowohl ein erfahrener britischer Brigadegeneral, der das afghanische Schlachtfeld kennt, als auch der Generalstabschef der US-Streitkräfte, Michael Mullen, haben gesagt, dass der Krieg in Afghanistan nicht zu gewinnen ist. Insofern sollten die deutschen Politiker ähnliche Erkenntnisse aus der Situation ziehen.



Abendblatt:

Die Bundeswehr ist derzeit mit 3300 Soldaten vor Ort; international sind es 50 000. Reicht das aus in einem Land, das doppelt so groß wie Deutschland ist?

Scholl-Latour:

Die Russen waren mit 130 000 Soldaten in Afghanistan und sind damit nicht fertig geworden. Es liegt ja auch nicht an der mangelnden Truppenzahl. Die Deutschen, die bisher dort sind, sind zu höchstens 20 Prozent in einem Patrouilleneinsatz. Von einem kämpferischen Einsatz kann nicht einmal die Rede sein. Das wird sich auch nicht durch die Aufstockung von 1000 Mann ändern.



Abendblatt:

Ist es seriös, zwischen dem zivilen Einsatz unter dem Isaf-Kommando und dem Kampfeinsatz Enduring Freedom zu unterscheiden?

Scholl-Latour:

Es ist nicht mehr zeitgemäß. Und man kann von einem afghanischen Partisanen nicht erwarten, dass er einen Unterschied zwischen Isaf und Enduring Freedom macht.



Abendblatt:

Was ist bei dem Einsatz in Afghanistan schiefgelaufen?



Scholl-Latour:

Man hat den Gegner unterschätzt. Hinzu kommt eine mangelnde Bereitschaft, mit dem Gegner zu verhandeln. Außerdem hat man die immense Gefahr völlig vernachlässigt, dass der Konflikt auf Pakistan mit seinem 160 Millionen Muslimen, auf einen Staat mit Atombomben, übergreifen kann.



Abendblatt

Was hat sieben Jahre nach ihrem Sturz zum Wiedererstarken der Taliban geführt?

Scholl-Latour:

Das Verschwinden der Taliban war ja nur von kurzer Dauer und nur durch die erdrückende Wirkung der amerikanischen Luftwaffe zu erklären. Inzwischen haben sie eine neue Partisanentaktik gefunden. Und aus den Grenzgebieten Pakistans, die auch von Paschtunen bevölkert sind und wo sich zahllose Flüchtlingslager befinden, strömen immer neue Freiwillige hinzu. Von einem Mangel an bereitwilligen Gotteskriegern kann nicht die Rede sein.



Abendblatt:

Sollte die Konsequenz also lauten: raus aus Afghanistan?

Scholl-Latour:

Man sollte doch ehrlich sein. Inzwischen sind Verhandlungen im Gange, und zwar in Saudi-Arabien, in Mekka, zwischen den afghanischen Konfliktparteien: zwischen Vertretern der jetzigen afghanischen Regierung, die übrigens größtenteils korrupt ist, zwischen den Führern der Taliban, die weiterhin den Mullah Omar als obersten Chef anerkennen, und der Mudschaheddin-Truppe des Partisanenführers Hekmatyar, um einen Ausweg zu finden. Die Amerikaner wissen davon. Ich hoffe, dass auch die Deutschen informiert sind.



Abendblatt:

Sollten die Deutschen ihre Soldaten aus Afghanistan abziehen?

Scholl-Latour:

Sie können das nur im Verbund mit den Alliierten des Altantischen Bündnisses machen. Sie können nicht einfach ausscheren. Das wäre unanständig und unkorrekt gegenüber den Verbündeten. Aber sie könnten darauf drängen, dass endlich einmal eine vernünftige Planung, und zwar eventuell auch eine Evakuierungsplanung, ins Auge gefasst wird. Die Aufständischen, so habe ich gehört, sind bereit, einen reibungslosen Abzug der Nato-Kräfte zu garantieren, möglicherweise sogar neutrale Truppen aus Marokko oder Indonesien ins Land zu lassen, um den Übergang zu garantieren. Und die afghanischen Aufständischen sind auch bereit, Terrortrupps von al-Qaida daran zu hindern, von afghanischem Territorium aus weitere Anschläge im Ausland zu planen. Am Ende muss Afghanistan sich selbst überlassen werden.