An Tagen wie diesen ist Afghanistan plötzlich näher. Näher für alle, die die Nachrichten verfolgen und mit den Familien der getöteten deutschen...

Hamburg. An Tagen wie diesen ist Afghanistan plötzlich näher. Näher für alle, die die Nachrichten verfolgen und mit den Familien der getöteten deutschen Soldaten fühlen. Näher aber auch besonders für alle Afghanen in Hamburg. Rund 20 000 leben in der Hansestadt, in der damit größten afghanischen Gemeinschaft in Deutschland. "Unser Herz weint, wenn wir Nachrichten wie die über den Anschlag hören", sagt Dr. Asadullah Nauroz (63). Der in Kabul geborene Allgemeinmediziner lebt seit 37 Jahren in Deutschland, seit 1994 in Hamburg-Eilbek. Eines ist für ihn auf keinen Fall eine Lösung: "Der Rückzug von Truppen aus Afghanistan würde den Sieg der Terroristen bedeuten. Das darf nicht passieren."

Keiner in Afghanistan, sagt Nauroz, hätte sich vor nicht allzu langer Zeit vorstellen können, dass "einmal die ganze Welt hilft". Hilft, das zu schützen und zu bewahren, was auch Afghanistans Zukunft ist: die Kinder. Neben dem, was die Nato-geführte Schutztruppe Isaf im Land leistet, tragen dazu auch Aktionen wie die Herzbrücke der Hamburger Albertinen-Stiftung bei. Im Albertinen-Krankenhaus in Hamburg-Schnelsen werden seit 2005 schwer kranke afghanische Kinder operiert, die unter anderem über zwei spezielle Luftbrücken Hamburg-Kabul hierher geholt wurden. Nauroz, selbst Vater eines Sohnes (7), gab mit seiner Familie dem herzkranken Hasib (9) aus dem Norden Kabuls rund um die Operation für drei Monate ein Zuhause.

Hasib konnte geheilt in seine Heimat zurückkehren. Er hat Glück: "In den afghanischen Großstädten, besonders in Kabul, ist die medizinische Versorgung durch die Entwicklungshilfe mittlerweile wieder besser", sagt Nauroz. Besser heißt jedoch noch lange nicht gut: "Mit deutschen Ausstattungs- und Hygienestandards darf man das nicht vergleichen." Medikamente würden hauptsächlich über Iran und Pakistan importiert, da könne es schon einmal passieren, dass die Wirksamkeit eines Präparates nicht ganz so hoch ist. In den ländlichen Regionen, sagt Nauroz, sei die medizinische Versorgung desolat.

Bei seinem letzten Besuch in Kabul vor einem Jahr seien sie beschossen worden, erzählt Nauroz: "Mein Cousin hatte ein Zeichen von Isaf-Soldaten, dass wir halten sollten, einfach nicht gesehen." Ein Warnschuss streifte die Windschutzscheibe. "Die müssen so handeln, das kann ich verstehen. Bei all den Selbstmordattentätern", sagt der Mediziner. Generell sei die Stimmung im Land hoffnungsvoll gewesen. "95 Prozent der Afghanen glauben an den Frieden. Die restlichen fünf Prozent dürfen nicht gewinnen." Man müsse die Terroristennester, die Ausbildungscamps zerschlagen. Und eine neue Regierung einsetzen: "Seit dem Königreich haben wir keine Regierung erlebt, die an die Menschen denkt. Es geht immer nur um Macht der Parteien und darum, sich die Taschen vollzuschaufeln." Nauroz betont, dass er Arzt ist, ein normaler Mensch wie viele, kein Politiker. "Aber es ist in meinen Augen ein Fehler, dass es die jetzige Regierung noch gibt." Zalmay Khalilzad, den US-Botschafter afghanischer Herkunft bei der Uno, hält er für einen guten Mann: "Der kennt die Politik, ist neutral. Der könnte Afghanistans Regierung guttun." So lange würde sich die afghanische Bevölkerung jedoch mit Anschlägen wie dem gestrigen als etwas Alltäglichem abgeben. Abgeben müssen.