Sehr geehrter Herr Strunz,

oh, Deutschland, du und deine Richter. Was soll ich sagen? Wann hört es auf, dass wir in Deutschland immer denken, wir müssen nachgeben, wenn es um den Islam geht?

Ich bin 1970 nach Deutschland gekommen. Vorher habe ich in der Türkei mein Abitur gemacht. Dort konnten wir sogar als Muslime auch nicht sagen, wir wollen einen Raum zum Beten haben, obwohl 98 Prozent der Bevölkerung Moslems sind. Es ist nicht zwingend vorgeschrieben, wie der Junge aus Berlin behauptet, zu bestimmten Zeiten zu beten.

Man kann und darf die versäumten Gebetszeiten später nachholen. Es ist auch anders nicht möglich. Überlegen Sie mal: Alle Muslime in der Türkei würden zur gleichen Zeit wie vorgeschrieben ihre Arbeit niederlegen und beten. Das Land und das tägliche Leben würden doch zusammenbrechen.

Es ist für mich nicht nachvollziehbar, wie so etwas passieren konnte, denn es gibt genug Theologen, bei denen man hätte nachfragen können. Ich nenne einen Namen: Professor Yasar Nuri Öztürk, Dekan der Theologischen Fakultät an der Universität Istanbul.

In der Schule hat das Beten nichts zu suchen, egal, welcher Religion man angehört. Dieser Richterspruch ist auf jeden Fall das falsche Signal für die Integration und viel mehr der Spaltung der Gesellschaft und Stärkung der provokativen Kräfte in beide Richtungen dienlich.

Überlegen Sie mal: Morgen möchte der Hindu einen Tempel, der Jude eine Synagoge, der Alevit ein Cemevi oder die heilige Kuh in der Schule haben.

Wenn schon Gleichberechtigung für alle, warum nicht gleich so?

Mit freundlichen Grüßen,

Necdet Savural

Sehr geehrter Herr Savural,

Sie sprechen ein Thema an, das viele bewegt. Das sehen Sie ja an der Menge von kontroversen Reaktionen, die das Urteil hervorgerufen hat. Das Berliner Verwaltungsgericht hatte entschieden, dass ein 16 Jahre alter muslimischer Schüler außerhalb der Unterrichtszeit an seinem Gymnasium nach islamischem Ritus beten darf.

Zunächst einmal finde ich es bedauerlich, dass die angeblichen Bedürfnisse eines Schülers hier vorgeschoben werden, um Interessensbereiche von Kirche und Staat gegeneinander abzustecken. Der Kopftuchstreit ist da noch in unguter Erinnerung. Aber natürlich drückt dieses Urteil den Respekt vor der Freiheit auf ungestörte Religionsausübung aus, die im Grundgesetz garantiert wird (Art. 4, Abs. 1). Damit sind auch Gebete gemeint. Man kann diesen Richterspruch als Beispiel für gelebte Toleranz sehen. Allerdings weisen Sie zu Recht darauf hin, dass sich die Gebetszeiten relativ flexibel handhaben lassen. Auch hat der Berliner Imam Ferid Heider daran erinnert, dass der Religionsstifter und Prophet Mohammed die ganze Erde zum Ort erklärt hat, an dem Moslems beten können. Somit wäre die Einrichtung eines Gebetsraums an Schulen aus religiösen Gründen eigentlich nicht notwendig.

Aber was spräche wirklich dagegen? Sie befürchten, die Integration könnte Schaden nehmen. Im Grunde stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage nach dem Umgang der Schulen mit Religionen generell. Natürlich sollen Schulen nicht zu Synagogen oder Tempeln werden oder dort gar heilige Kühe Einzug halten, wie Sie schreiben. Toleranz muss im Umgang miteinander das oberste Gebot bleiben. Nicht nur, aber auch zwischen Christen und Moslems. Wenn Sie die Berichterstattung im Hamburger Abendblatt verfolgt haben, wissen Sie, wie viele Bemühungen es auch in dieser Stadt in dieser Hinsicht gibt. Erst am vergangenen Sonnabend wurde bundesweit der Tag der offenen Moschee gefeiert.

Ein Raum an der Schule nur für gläubige Muslime oder voller religiöser Symbole könnte dennoch Provokateure auf den Plan rufen. Aber vielleicht sind Ihre Sorgen auch übertrieben. Schließlich liegt in der Umsetzung des Urteils auch eine Chance. Ein allen offen stehender "Gesinnungsraum", wie ihn etwa Imam Heider vorschlägt, oder ein "Raum der Stille", wie es ihn beispielsweise im schleswig-holsteinischen Landtag gibt, wäre vielleicht ein Weg, um Religionsausübung und staatliche gebotene weltanschauliche Neutralität auf einen Nenner zu bringen. Außerdem könnte er als ein Ort der Spiritualität im oft hektischen und materiell geprägten Schulalltag neue Akzente setzen.

Herzlichst, Ihr Claus Strunz