Sehr geehrter Herr Strunz,

Ich war Ende November beim Dinner-Zirkus (überraschend, weil mein Bekannter zwei Karten übrig hatte) und konnte dort einen wunderbaren Abend verbringen, nicht zuletzt durch die Tiger-Show, aber auch durch die anderen Artisten, die mir und meinen Bekannten einen unvergesslichen Abend geschenkt haben.

Leider bekommt durch die Panikmache und die weitere Berichterstattung in den Artikeln des Hamburger Abendblatts die Dinner-Show einen elitären Touch ("exklusives Essen"), und die Tiger werden als bösartige Raubtiere dargestellt. Am 8.12. ist ein sehr bedauerlicher Unfall passiert, allein basierend darauf, dass der Dompteur gestolpert ist und dadurch in einer für die Tiere nicht berechenbaren Situation war. Ich fühlte mich in der Show sicher und ich hatte nicht den Eindruck der Überforderung. Wenn es danach ging, dürfte es weder andere Zirkusveranstaltungen (wie z. B. in Monaco) oder sogar Zoos geben, die solche Tiere halten.

Im Übrigen gibt es in vielen Berufen die Gefahr, sich zu verletzen bzw. umzukommen. Darüber hinaus haben sich jetzt einige Leute dazu berufen gefühlt, den Dinner-Zirkus als "überflüssige Veranstaltung für Reiche" darzustellen. Es handelt sich hier allerdings aus meiner Sicht auch um eine Neiddebatte, denn viele Leute, die sich solche Veranstaltungen nicht leisten, weil sie es angeblich nicht können, rauchen dafür ohne Ende oder fahren dreimal jährlich in den Urlaub.

Mir hat die persönliche Gestaltung dieser Show sehr gefallen, und ich würde jederzeit diese Veranstaltung weiterempfehlen, denn sie sichert auch viele Arbeitsplätze von Menschen, die nicht zu den Großverdienern gehören und sich viel Mühe geben, einen unvergesslichen Abend zu gestalten. Ich würde mich freuen, wenn Sie auch mal etwas Positives zu diesem Thema beitragen könnten, um nicht die Existenz dieser Menschen und natürlich auch des Dompteurs weiter zu gefährden.

Doris Rudolf (50), Hamburg

Sehr geehrte Frau Rudolf,

Sie sprechen ein sehr wichtiges und - ich sage das deutlich - unangenehmes Thema an. Denn es ertappt jeden, der ehrlich mit sich ist, bei einigen Ungereimtheiten der persönlichen Lebensführung. Ja, auch ich gehe mit meinen Töchtern in den Zoo, obwohl mir die Freiheitsberaubung der Tiere fast jedes Mal wehtut. Beim Zirkus bin ich schon zurückhaltender, weil hier die Freiheitsberaubung nur der Anfang ist und Bären normalerweise nun mal nicht tanzen und Tiger eben keine Schmusekätzchen sind. Ich persönlich kann all diejenigen verstehen, die zum Wohl der Tiere gegen Zoo und Zirkus kämpfen. Als Zeitung werden wir darüber nicht richten, wohl aber berichten.

Wenn in Hamburg ein schwerer Unfall passiert, ist es unsere Pflicht, darüber zu informieren. Dabei versuchen wir, der Wirklichkeit nahezukommen, indem wir alle relevanten Fakten und Hintergründe nennen. Das ist auch im Falle des Dompteurs geschehen. Panikmache oder Stigmatisierung des Raubtieres zur Bestie habe ich dabei - auch nach nochmaliger Lektüre - nicht feststellen können. Beides wäre nicht sachgerecht und damit eine unangemessene journalistische Zuspitzung. Hingegen ist mir aufgefallen, dass das Abendblatt alle Fakten und Blickwinkel aufgezeigt hat. Damit haben wir unsere Leserinnen und Leser in die Lage versetzt, sich selbst ein Bild des Unglücks und seiner Folgen zu machen. Nun kann jeder Einzelne seine Konsequenzen daraus ziehen.

Die Macht liegt auch hier, wie beinahe überall, beim Bürger. Darbietungen dieser Art hätten keine Zukunft, wenn keine Zuschauer mehr hingehen würden. Ihr Arbeitsplatz-Argument überzeugt mich an dieser Stelle nicht. Denn gegen den Markt eine Dienstleistung künstlich am Leben zu halten ist selten eine Idee mit positiver Perspektive.

Bei aller Toleranz für Vergnügungen verschiedenster Art ist mir eines dennoch ein Rätsel geblieben: Dass es Menschen gibt, die schon am Abend nach dem blutigen Unglück die Show bei einem gemütlichen Dinner sehen wollten. Das gehört für mich zu den seltsamen Abwegen der Spaßgesellschaft.

Lassen Sie mich mit einem Gedanken an den verletzten Dompteur schließen. Möge er sich gut erholen - das ist jetzt vermutlich das Wichtigste.

Herzlichst Ihr Claus Strunz