Ursachen-Suche: Schon beim Start schlug ein Teil des Tanks in den Hitzeschild ein. War die NASA gewarnt?

New York. War die Columbia-Katastrophe vorhersehbar? Einen Tag nach der Tragödie sucht die US-Raumfahrtbehörde NASA fieberhaft nach den Ursachen. Ihr Hauptaugenmerk legen die Ermittler dabei auf einen Zwischenfall, der sich schon während des Starts am 16. Januar in Florida ereignete. Damals hatten sich kurz nach dem Abheben der Raumfähre Teile von einer der Trägerraketen gelöst und den Hitzeschild der Columbia beschädigt, der aus rund 20 000 Kacheln besteht. Dieser Defekt könnte am Sonnabend die sieben Astronauten an Bord, darunter zwei Frauen und zum ersten Mal ein israelischer Raumfahrer, das Leben gekostet haben. Andere Ursachen, wie die "Explosion eines Tanks", "Altersschwäche des Shuttles", "Sabotage durch einen Techniker am Boden" oder gar eine "Meteoriten-Kollision", werden von Experten zwar nicht ausgeschlossen, gelten aber als unwahrscheinlich. Der Leiter des Shuttle-Programms, Ron Dittemore, bestätigte, dass sich während des Starts "Stücke der Schaumstoffisolierung von einer der Raketen gelöst" hätten. Diese Teile seien "in den linken Flügel geschlagen". Die Bodenkontrolle in Houston stufte den Zwischenfall zunächst als "ungefährlich" ein. Dittemore: "Die Sicherheit der Columbia war dadurch nicht gefährdet." Doch dieses Urteil könnte sich jetzt als fatale Fehleinschätzung erweisen. Die Probleme der Columbia beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre - zu diesem Zeitpunkt ist die Raumfähre einer Hitze von mehr als 1600 Grad Celsius ausgesetzt - begannen am linken Flügel. "Um 7.53 Uhr (14.53 MEZ) fielen dort die ersten Temperatur-Sensoren aus", erklärte der verantwortliche NASA-Flugdirektor (Chief Flight Director) Milt Heflin. Nach einer kurzen Mitteilung an die Crew, die den Hinweis bestätigte, versagten weitere Armaturen, darunter die Anzeige für den Reifendruck und das hydraulische System. Es war die letzte Meldung der Columbia-Crew. Sieben Minuten später brach der Kontakt ab. "Um 8 Uhr (15 Uhr MEZ) ahnten wir", so Heflin, "dass wir einen verdammt schlechten Tag haben werden." Der Ausfall der Sensoren wird von Experten wie Eugene Covert, der das Challenger-Unglück von 1986 untersucht hatte, als Anzeichen verstanden, dass "der Hitzeschutzschild der Columbia nicht funktionierte". Dies habe dann zu einem "Zusammenbruch der Struktur und in letzter Konsequenz zu einer Explosion geführt". Satelliten-Bilder zeigten das Auseinanderbrechen auch als einen "lang gezogenen roten Hitzestrahl". Selbst wenn die NASA den Defekt früher erkannt hätte: Eine Reparatur im Weltraum wäre nicht machbar gewesen. Ron Dittemore: "Solche Spaziergänge im All sind nicht möglich, und über einen Außenbord-Arm verfügte die Columbia nicht. Einmal im All, hätten wir und die Crew Schäden an der Columbia nicht mehr reparieren können." Auch deutsche Fachleute vermuten einen defekten Hitzeschild als Ursache. Heinz-Hermann Koelle, Berliner Raumfahrt-Experte: "Der Absturz selbst war zweifellos eine Folge der Auflösung der Struktur der Raumfähre, weil der Hitzeschild versagt hat." Fünf Gründe kämen als Auslöser in Frage: eine Beschädigung beim Start, Wartungsfehler, Materialermüdung, Führungsfehler oder eine Reifenexplosion. Der deutsche Astronaut Ernst Messerschmid vermutet, die Columbia habe entweder seinen Hitzeschild oder die Fluglagekontrolle verloren. "Ich gehe weniger von einer Explosion aus, sondern vom Verlust eines wichtigen Systems und einem schrittweisen Auseinanderbrechen." Sein Kollege Ulrich Walter glaubt: Die beim Start gelösten Teile des Tanks könnten "ein paar Kacheln an der Vorderkante des linken Flügels ausgeschlagen" haben. "Veraltete Technik" sieht Monika Auweter-Kurtz vom Institut für Raumfahrtsysteme der Stuttgarter Universität als Ursache. Sie sagt: "Die Katastrophe hätte mit einem zeitgemäßen Wärmeschutz verhindert werden können. Die Technologie des Shuttles wurde aber 1974 eingefroren." Auch ein früherer NASA-Ingenieur behauptet: Die US-Raumfahrtbehörde habe "seit Jahren" Warnungen in den Wind geschlagen. Don Nelson, der 1999 nach 36 Jahren bei der NASA in den Ruhestand ging, appellierte nach eigenen Angaben im Sommer 2002 an US-Präsident George W. Bush, durch seine Intervention "ein katastrophales Raumfährenunglück" zu verhindern. Nelson: "Die jüngste Katastrophe ist auf das verheerende Missmanagement an der NASA-Spitze zurückzuführen." Experten, die zur Entwicklung besserer "Rettungsmodelle" für die Shuttle-Besatzung drängten, seien ignoriert worden. Erst im Juli 2002 sei von offizieller Stelle das unzureichende Management des Sicherheitsprogramms bemängelt worden. Wie berichtet, wurden seit dem Sommer immer wieder Risse in Treibstoffleitungen der Fähren entdeckt. Auch in der Columbia. Deshalb hatte die NASA den ursprünglich für 19. Juli geplanten Start mit Israels erstem Astronauten auf Januar verschoben. Damals zeigte sich Dittemore "erleichtert, dass sich die Probleme mit kleineren Schweißarbeiten lösen lassen". Ein Trugschluss?